Veröffentlicht am 2020-11-16 In Kentenich

Agent Gottes

von P. Elmar Busse, Dernbach, Deutschland •

Am 24. April 1974 wurde der persönliche Referent vom deutschen Bundeskanzler Willy Brandt, Günter Guillaume, in Bonn unter Spionageverdacht verhaftet. Bei seiner Verhaftung sagte Guillaume: „Ich bin Offizier der Nationalen Volksarmee der DDR und Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Ich bitte, meine Offiziersehre zu respektieren“.[5] Dieser Satz war ein wesentlicher und gerichtsverwertbarer Aspekt, der gegen ihn sprach, da bis zu seinem Geständnis die Beweislage relativ dünn war.—

Die Enttarnung bildete den Anfang der nach ihm benannten Guillaume-Affäre. Sie löste in der Bundesrepublik eine schwere innenpolitische Krise aus, an deren Ende am 7. Mai 1974 der Rücktritt Willy Brandts als Bundeskanzler stand.

Agenten, Spione, Geheimdienstler

Nicht nur die phantasievollen Romane und Verfilmungen über den Meisterspion des englischen Geheimdienstes MI6, James Bond, faszinieren Millionen Leser und Zuschauer.

Auch Schicksale realer Agenten, wie der Giftanschlag mit Nowitschok auf den Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter in Salisbury in Großbritannien finden reges mediales Interesse. Der Doppelagent war nach Enttarnung und sechs Jahren Haft in Russland bei einem Agentenaustausch nach England entlassen worden.

Seit es Geschichtsschreibung und Staatenbildung gibt, gibt es das Phänomen der Spione.

Schon Josef in Ägypten macht seinen Brüdern, die ihn nicht erkennen, den Vorwurf, Spione zu sein (vgl. Gen 42,9).

Agenten sind loyal ihrem Entsendeland gegenüber, aber müssen sich bestens auskennen in dem Land, in dem sie arbeiten, um sich auch in Vertrauensstellungen hochzuarbeiten, wo sie dann an Informationen herankommen, die für das Entsendeland bedeutsam sind.

Der im Dienst der Sowjetunion in Japan arbeitende deutsche Spion Richard Sorge konnte noch vor seiner Enttarnung der Moskauer Regierung mitteilen, dass Japan nach der Kriegserklärung an die USA nicht beabsichtige, die Sowjetunion anzugreifen. Das ermöglichte die Verlegung der sowjetischen Streitkräfte an deren Westfront.

Hat Gott Agenten auf der Erde?

Vielleicht klingt es etwas ungewohnt, aber können wir uns als Christen nicht auch als Agenten Gottes in einer gottvergessenen oder gar gottfeindlichen Welt verstehen? Im Johannesevangelium wird der Dualismus zwischen Gott und Welt am markantesten herausgearbeitet (vgl. Joh 14,17.27 und vor allem: 15,18-16,4). Aber auch in den anderen Evangelien ist nicht unbedingt von Harmonie zwischen Welt und Gottesreich die Rede: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ (Mt 10,34 und Parallele bei Lk 12,51-53)
Und gleichzeitig gilt die Vater-unser-Bitte: „Dein Reich komme!“ Es ist die große Sehnsucht und das Herzensgebet Jesu, dass das Gottesreich in dieser Welt Raum gewinnt. Und obwohl er so viel Gutes tat, wurde er nicht nur mit offenen Armen begrüßt, sondern traf auf massiven Widerstand gerade in der politischen und religiösen Führungselite seines Landes, deren Opfer er schließlich wurde.

Es gehört zu den Unbegreiflichkeiten der Heilsgeschichte, dass der allmächtige und allwissende Gott nicht mit allen seinen Gegnern so unmittelbar umgeht wie mit dem Saulus vor Damaskus. Und selbst da lesen wir, dass Gott – nachdem er das Unmögliche bewirkt hatte – den Hananias gewinnen möchte, dass er den neu bekehrten Paulus tiefer ins Christentum einführt. Hananias hat aber Angst, weil er weiß, was dieser fanatische Pharisäer Saulus plante. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Gott ihn umgekrempelt hatte.

Heilsgeschichte ist also nicht die Aneinanderreihung von gottunmittelbaren Heilstaten, wie zum Beispiel am Schilfmeer bei der Flucht aus Ägypten. Gott ist ein Meister im Delegieren. Er verbannt uns Menschen nicht auf die Zuschauertribüne der Geschichte, in deren Verlauf er zeigt, wie großartig er ist. Nein, er lockt uns in die Arena, wo wir in seinem Auftrag gegen strukturelle Ungerechtigkeiten und strukturelle Gewalt sein Reich aufbauen sollen – mal offensichtlich, mal als „Agenten“.

Die christliche Ordensfrau und Ärztin Ruth Pfau baut gegen alles Misstrauen und alle Verdächtigungen in dem muslimischen Pakistan ein Gesundheitsnetzwerk auf, um die Lepra zu besiegen. Auch die Skeptiker müssen zur Kenntnis nehmen, dass es ihr um die Menschen geht und nicht um den christlichen Einfluss. Sie wird mit dem höchsten pakistanischen Orden ausgezeichnet und bekommt am Ende ihres Lebens ein Staatsbegräbnis.

Für Christen reicht Loyalität nicht aus

Für Agenten reicht Loyalität allein nicht aus. Für Christen reicht Loyalität gegenüber Gott nicht aus.

Natürlich gibt es auch eine weltfremde Weltflucht. Das mag im Einzelfall sogar reif und gottgewollt sein. Nikolaus von Flüe zieht sich als Einsiedler von seiner Familie und seinen politischen Aufgaben zurück, aber Gott als weitsichtiger Personalentwickler weiß schon, dass er etliche Jahre später eine moralische Autorität braucht, die zwischen den verfeindeten Kantonpolitikern vermitteln muss, damit kein Bürgerkrieg entsteht. Diese moralische Autorität entwickelt Nikolaus in den Jahren seines Einsiedlerdaseins, wo er für viele zum Ratgeber und Tröster wird. Am 22.Dezember 1481 wird in den Friedensverhandlungen der zerstrittenen Kantone der Vorschlag von Bruder Klaus aufgegriffen. Der Frieden ist gesichert.

Und Kentenich ändert einen Stil

Pater Kentenich erlebt in seiner Ausbildungszeit zum Priester und Ordensmann einen Stil, der sehr verkopft ist, rationalistisch (vernunftbetont, argumentativ) und voluntaristisch (willensbetont); die ganze Gefühlswelt blieb Brachland, Erlebnisvermittlung – Fehlanzeige. Es war mehr Dressur als Erziehung. Er hat sehr unter dieser Ausbildung gelitten.

Als er dann selber Verantwortung übernahm für die Ausbildung des zukünftigen Ordensnachwuchses setzte er ganz andere Akzente: Gegen den Widerstand und das Misstrauen seiner Mitbrüder ermöglichte er den Schülern Freiräume, schuf die Voraussetzungen für schöne Erlebnisse, förderte den Erfahrungsaustausch der Jungen untereinander. Sie sollten die Sprache des Herzens trainieren.

Während die Jungen begeistert von dem unüblichen Stil Kentenichs waren, blieb das Misstrauen seitens mancher Mitbrüder der Gemeinschaft. Der Konflikt eskalierte, als der Bischof von Trier eine päpstliche Visitation beantragte. Der päpstliche Visitator war zwar ein gediegener Theologe, aber von Psychologie hatte er keine Ahnung. Seit der Religionskritik von Siegmund Freud „Die Zukunft einer Illusion“ von 1927 galt die Psychologie in Rom als rotes Tuch oder schärfer noch: ‚Der Kentenich holt mit seiner Psychologie das trojanische Pferd in die Kirche und wird sie von innen zerstören.‘

Reformer hatten es noch nie leicht in der Kirche. Erst das Reformkonzil von 1958 bis 1962 sorgte für einen Mentalitätswandel in der Kirche, so dass viele Verantwortliche in der Kirche in Kentenich nicht mehr eine Gefahr, sondern eine Chance sahen. Er konnte 1965 aus seinem kirchlichen Exil zurück nach Schönstatt.

Trotzdem stehen wir als Schönstatt-Bewegung noch ganz am Anfang der Verwirklichung von Kentenichs Vision einer erneuerten Kirche. Aber  das eigene Erleben, dass Freude am Glauben und modernes freiheitsbewusstes Lebensgefühl kein Widerspruch darstellt, schenkt Sicherheit im Blick auf die Zukunft.

Den Liedtext von Frank Sinatra „I did it my way“ (Ich tat es auf meine Art) können wir durchaus auch Josef Kentenich in den Mund legen. Ganz loyal Gott gegenüber, ganz er selbst, kompetent in den „weltlichen Angelegenheiten“. Er war ein idealer Agent Gottes und er lädt uns ein und ermutigt uns, es heutzutage zu sein.

Nacido en Gymnich, 16.11.1985

Schlagworte: , , ,

3 Responses

  1. S. Hamm sagt:

    Lieber Pater Busse,

    in Ihrem Artikel deuten Sie an, dass P. Kentenich sich mit Sigmund Freud auseinandergesetzt hat. Mich würde genauer interessieren, was P. Kentenich übernommen oder ähnlich gesehen hat und wo er sich von Freud abgegrenzt hat.
    Außerdem deuten Sie an, dass die Kirche Freud verurteilt hat, weil sie erstens seine Religionskritik ablehnte und weil sie zweitens vor dem 2. Vatikanischen Konzil scheinbar zu „altmodisch“ war, um ihn zu verstehen.
    Ich möchte ergänzend anmerken, dass bei der Verurteilung Freuds wahrscheinlich auch eine Rolle gespielt hat, dass die Kirche einige Aspekte seines Menschenbildes als durchaus problematisch erkannt hat. So sieht Freud den Menschen als Opfer seiner Kindheit, während das christliche Menschenbild die Freiheit des Menschen betont und seine Fähigkeit lebenslang dazuzulernen und umzukehren.
    Zum anderen hat Freud auch Kinder und Jugendliche als sexuelle Wesen gesehen, was in der Pädophiliebewegung der 68er die bekannten schlimmen Folgen hatte.
    Es scheint, dass die Kirche auch vor dem Konzil Freud durchaus „verstanden“ hat und ihn deshalb folgerichtig verbot.
    Dass Pater Kentenich ähnlich gedacht hat wie Freud, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen und wäre deshalb dankbar, wenn sie oder jemand anderer genauer erklären könnten, welche Beziehung es zwischen beiden gibt, wo Gemeinsamkeiten liegen und wo Unterschiede.
    Vielen Dank.
    S. Hamm

  2. Zur Ergänzung möchte ich an diesem Bündnistag noch etwas zu diesem Komentar schreiben! Sie diese Marienschwester hatte jeden Menschen so genommen wie er war, obwohl es Situationem gab, wo ihre Mitschwestern , manchmal auch mit Recht sagten, was sie denn für ein Kind aufnehmen würde! Sie wußte, sicher mit der Hilfe von PK, dass durch die geistige Liebe, etwas aus dem Leben werden könnte, mit vorsichtiger nicht aufdringlichen Zuwendung, dabei soviel Freiheit wie möglich und nötig, und das bei mir 30 Jahre, ja ich hatte es auch wirklich nötig!

  3. Ulrike Terfloth sagt:

    Bei diesen vielen interessanten Texten möchte ich etwas von mir meinem Leben erzählen! Ich selbst lernte vor fast 50 Jahre Schönstatt, eine Marienschwester kennen! Sie gehörte wie die Mitschwestern zu dem Eintritsalter Ende der 40Jahre!!
    Ich selber kam als ein puprtierendes ungeliebten Kind in ein Internat, in eine Heimstatt, und fühlte mich im Kreise dieser Schwestern, es waren gestandene Persönlichkeiten, zu Hause!
    Diese Marienschwester hatte persönlich von Pater K den Auftrag bekommen geistig Mutter zu sein , wenn es nötig ist! Sie hat als Schulschwester jedem die Möglichkeit gegeben, sich dabei nie aufdringlich gezeigt! Sie hatte vielen dabei geholfen, die ihr Leben dann besser meistern könnten! Ich durfte auch dabei sein und mein Leben ist gut verlaufen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert