Kentenich

Veröffentlicht am 2020-07-13 In Kentenich, Kolumne - Rafael Mascayano

Ich will keinen perfekten Pater Kentenich

Von  Rafael Mascayano, Chile•

Vor einigen Jahren erzählte mir ein Schönstattpriester, dass ein kürzlich geweihter Priester Pater Kentenich gefragt habe, was er ihm für seine Primizmesse empfehle. Pater Kentenich hatte ihn sehr ernst angeschaut und ihm gesagt: Geh auf die Toilette. Ich liebte diese Natürlichkeit, ihn konkret, direkt, menschlich zu sehen, verbunden mit dem täglichen Leben, mit der Realität.—

Deshalb hat mich alles, was in diesen letzten Tagen geschehen ist, ihm näher gebracht, anstatt mich von ihm zu entfremden oder zu mir ein Problem zu machen. Zu sehen, wie er einen Fehler macht, zu sehen, wie er unbesonnen ist, zu sehen, wie er wütend wird, und zu sehen, wie er oft vielleicht nicht richtig antwortet…

Warum sollte der Jünger besser sein als sein Meister? Die Evangelisten erzählen uns von einem Jesus, der weinte, der wütend wurde, der Petrus einen Santan nannte, der die Händler aus dem Tempel warf, der keinen Platz zum Schlafen hatte, der von seinen Zeitgenossen verunglimpft wurde, der gut angesehene Ehrenmänner als übertünchte Gräber und Heuchler beschimpfte … Und wir wollen im Gegensatz dazu einen makellosen Pater Kentenich zeigen, der nie wütend war, der nie einen Ausbruch gemacht hat, der nie Kummer oder Sorgen hatte, das heißt, praktisch „Immakulata“.

Annäherung an den Kentenich aus Fleisch und Blut

Das nimmt mir jede Möglichkeit, ein Heiliger zu sein, denn diese Möglichkeit ist nicht in mir, sie ist nicht in meinem täglichen Leben, sie ist nicht mit meinen Fehlern und Bemühungen, besser zu werden. Wie gerne würde ich Pater Kentenichs Geistliche Tagesordnung anschauen! Zu sehen, womit er jeden Tag zu kämpfen hatte, was er zu verbessern suchte, was er zu überwinden suchte, was seine Schwächen waren, um sich dem menschlichen Kentenich, dem Kentenich aus Fleisch und Blut, anzunähern, dem der Weg zur Heiligkeit auch etwas gekostet hat. Ich möchte, dass man mich nicht von seiner Menschlichkeit wegzieht, ich möchte noch viel mehr Menschen zuhören, die mit ihm nicht einverstanden waren, die sich vielleicht wegen etwas, was er ihnen gesagt hat, wegen irgendeiner Einstellung von ihm schlecht fühlten und ihn auf diese Weise aus seiner täglichen Realität heraus verstehen, und nicht als ein außerirdisches Wesen, das nichts mit meiner Menschlichkeit, mit unserer Menschlichkeit zu tun hat.

P. Joaquin Alliende erzählte uns vor einiger Zeit von einem Gespräch, das er mit P. Kentenich geführt hatte. P. Joaquin sagte ihm, dass Mario Hiriarts Leichnam nach Bellavista überführt werden sollte, damit man ihm näher sein und eine größere Bindung zu ihm aufbauen könne. Pater Kentenich bestand darauf, dass die Chilenen ihn erst erobern und erst dann nach Bellavista bringen müssten. Zwei hartnäckige Menschen konfrontierten sich mit soliden Argumenten, und schließlich gab Pater Kentenich nach, als er feststellte, dass die Argumente von Pater Joaquin durchaus richtig sein könnten. Wie wunderbar!

Wir erleben einen Moment der Gnade

Wie oft hat er uns gesagt, dass einer der Punkte, um zu Gott zu gelangen, auch die Enttäuschung an Menschen sei! Vielleicht lacht er laut auf und sagt uns noch einmal: Solange ihr Schönstatt nicht versteht, werde ich nicht heilig gesprochen, solange ihr nicht mein Empfehlungsschreiben seid, macht euch keine Sorgen um meine Heiligsprechung. Vielleicht würde er noch einmal darauf bestehen: „Solange die Armut in den lateinamerikanischen Ländern nicht gelöst ist, hat Schönstatt seine Aufgabe nicht erfüllt“, also geht hinaus, um die neue Gesellschaftsordnung aufzubauen, wozu ich euch so oft aufgerufen habe, verschließt euch nicht in der Sakristei, verschließt euch nicht im Heiligtum… Erinnert euch, Beheimatung, Umwandlung und Aussendung! Wie ist unsere Laienausbildung und Reife? Es gibt viel zu tun, es gibt viel, um Schönstatt in der Bewegung, in der Kirche und in der Welt Wirklichkeit werden zu lassen, so dass Pater Kentenich in seinem Vorschlag für einen neuen Menschen in einer neuen Gemeinschaft wirklich anerkannt wird.

Gesegnet ist der Augenblick, den wir erleben, und hoffentlich können wir weiterhin seine Fehler, seine Schwierigkeiten, seine Anstrengungen, seine Kämpfe, seine Selbsthingabe Tag für Tag untersuchen und daraus lernen, um einen weiteren Schritt auf seinem Weg der Selbsterziehung voranzuschreiten. All dies wird ein großer Ansporn sein, damit wir aus unseren Schwächen, aus unserer persönlichen und gemeinschaftlichen Arbeit heraus wirklich Zeugen dessen sein können, was er der Kirche und der Welt geben wollte.

 

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1 Responses

  1. M. Weweler sagt:

    Ich stimme dem Befreienden, einem weniger idealisierten Kentenich zu begegnen zu!
    Allerdings ist es ein Unterschied, ob jemand eine „kleine Schwäche“ hat oder Menschen psychisch oder sexuell missbraucht…

    Daher braucht es nun absolute Transparenz von allen Beteiligten und eine lückenlose Aufklärung unabhängiger Fachleute.

    Den Impuls, weiter, ganz konkret an sich zu arbeiten und seine Umgebung, mit dem eigenen Charisma zu bereichern finde ich trotzdem sehr inspirierend!

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