Veröffentlicht am 2019-04-26 In Gefängnispastoral, Haus Madre de Tuparenda, Kentenich

Kentenich-Pädagogik an der Peripherie (3)

Kentenich-Pädagogik an der Peripherie, P. Pedro Kühlcke •

Freiheit im Gefängnis, ist das möglich? Ja, sagt Pater Kentenich. Und er hat es gezeigt. Ja, sagt P. Pedro Kühlcke und zeigt es: im Jugend-Gefängnis von Itauguá, wenige Kilometer vom Heiligtum von Tupãrenda entfernt. Die vielleicht kühnere Frage, die wir vor einigen Monaten von schoenstatt.org aus gestellt haben: Kentenich-Pädagogik an der Peripherie, ist das möglich? Ja, antwortet er und zeigt in diesem dritten Teil seiner Reflexion über die Idealpädagogik, wie es im Jugendgefängnis geht. Wenn es an dieser Peripherie geht, sollte es auch in anderen möglich sein. Und sogar in Schönstatt. 

Idealpädagogik

Ich denke, dieser Teil ist etwas bekannter. Idealpädagogik: Was bedeutet das? Für Pater Kentenich ist das Persönliche Ideal das Wichtigste. Möchtet Ihr eine der verschiedenen Definitionen des Persönlichen Ideals, die Pater Kentenich uns gibt, hören? Haltet euch fest und notiert, denn es wird etwas kompliziert:

„Ich muss natürlich jetzt in aristotelischem Sinne und auch in unserem Sinne beifügen: Die Uridee, die er von meiner Person und von meiner Aufgabe gehabt und grundgelegt hat in meiner Anlage, in meiner natürlichen und übernatürlichen Veranlagung. Dass damit auch gleichzeitig das Milieu von Bedeutung ist, die Umgebung, etwa auch die Art, wo und wie ich gewachsen bin, meine Vorgesetzten und dergleichen mehr, das sei hier nur kurz in Erinnerung gerufen.[1]

Alles klar? Was ist das Persönliche Ideal? Es ist die ursprüngliche Idee, die Gott von meiner Person und meiner Aufgabe hatte. Übersetzung: Als Gott mich erschuf, hatte er einen schönen Traum für jeden von uns –  Gott hat einen schönen Traum und für jeden einen anderen Traum! Wir sind keine sich wiederholenden Figuren, wir sind keine Soldaten, die alle hintereinander marschieren. Jeder ist einzigartig und einmalig. Keiner von uns existiert zufällig, niemand wird in der Welt „geworfen“. Gott hat einen wunderbaren Traum von jedem – leider haben viele Menschen keine Ahnung, was dieser Traum ist. Und sie torkeln beduselt durchs Leben, um nicht noch Schlimmeres zu sagen.

Unsere Aufgabe ist es, diesen Traum zu entdecken: Warum hat Gott mich in diese Welt gebracht? Wenn ich anfange, diesen Traum zu entdecken, habe ich plötzlich Kraft und kann sagen: „Ich möchte diesen Traum verwirklichen!“Dann ist es auf einmal egal, was die anderen sagen, dann machen die Versuchungen nichts mehr aus, denn ich habe einen Traum und ich will diesen Traum verwirklichen.

Das ist Idealpädagogik. Seht ihr, es ist nicht so kompliziert. Natürlich hat Pater Kentenich noch mehr dazu gesagt: Er spricht von der ursprünglichen Idee, die Gott von mir hatte, von meiner Aufgabe  … Was ist meine Mission? Und wie entdecke ich sie? Die Grundlagen dieses Traums, sagt P. Kentenich, hat Gott in meinen Veranlagungen, meinen Gaben, meinen Talenten gelegt. Erinnert ihr euch, wie wir in der Schönstattjugend die Temperamente anschauen und viele andere Dinge machen, um das Persönliche Ideal zu finden? Wenn Gott einen Traum für mich hat, gibt er mir die Werkzeuge, um ihn zu entdecken und zu realisieren.

Pater Kentenich sagt weiter, dass das Umfeld wichtig ist. Gott spricht auch durch meine Umgebung zu mir: Warum bin ich gerade in dieser Familie geboren? Warum musste ich im Jahr 1963 in Deutschland geboren werden? Und warum hat mich das und jenes getroffen? Mit all dem spricht Gott zu mir und gibt mir die Möglichkeit, seinen Traum für mich zu entdecken und gibt mir die Werkzeuge, um ihn zu realisieren: Idealpädagogik.

Können wir im Gefängnis über Ideale sprechen? Ich persönlich würde sagen, dass es das Wichtigste ist, das Zentralste, worüber man reden muss. Im Gefängnis begegne ich vielen jungen Leuten, die zu mir sagen: „Pa’i, mein Leben hat keine Bedeutung, ich weiß nicht wirklich, warum ich existiere.“ Einer sagte mir zum Beispiel: „Meine Mutter hat mich verlassen, als ich drei Jahre alt war, um mit einem anderen Mann zu leben, meinen Vater kenne ich nicht. Ich bin bei meiner Großmutter gelandet, aber sie ist gestorben, als ich acht war, und von da an war ich mutterseelenallein. Niemand weiß, dass es mich gibt, niemand kümmert sich darum, mein Leben bedeutet doch gar nichts.“ Angesichts solcher Abgründe von Einsamkeit und Sinnlosigkeit ist es umwerfend, sagen zu können: „Nein, du bist nicht bloß per Zufall auf der Welt, dein Leben hat einen Sinn, Gott wollte, dass es dich gibt. Vielleicht wollte deine Mutter nicht, dass es dich gibt, vielleicht hat sich dein Vater nie um dich gekümmert, aber Gott hat alles Mögliche und Unmögliche getan, damit es dich gibt, weil er dich so sehr liebt. “

Manchmal erzähle ich ihnen von Pater Kentenichs Kindheit. Wusstet ihr, dass der Vater unseres Gründers ihn nie anerkannt, ihn immer abgelehnt hat? Die Mutter war eine Hausangestellte, sie konnte ihn nicht bei sich haben. Er wuchs bei seinen Großeltern auf, er war ein abuela memby[2]. Mit der Zeit wurden die Großeltern alt und konnten sich nicht mehr um ihn kümmern. Die Mutter war eine im Haus des Arbeitgebers wohnende Angestellte; ein Kind konnte sie nicht dorthin mitbringen. Als Josef Kentenich acht Jahre alt war, musste ihn die Mutter mit großem Herzeleid einem Waisenhaus übergeben. Schrecklich! Mehrmals floh er aus diesem Waisenhaus, weil er sich nach Freiheit sehnte und weil es ihm dort sehr schlecht ging – und die Polizei brachte ihn zurück ins Waisenhaus. Kentenich hatte kein einfaches Leben! Aber er entdeckte, dass Gott ihn liebte und dass er ihm eine Mutter im Himmel gab.

 

Wenn ich mit jungen Leuten im Gefängnis spreche, sage ich immer zu ihnen: „Maria ist die Mutter, die dich niemals im Stich lässt, wie ihren Sohn Jesus. Und Gott hat dich in diese Welt gesetzt, weil er dich liebt, er hat einen schönen Traum für dich.“ Wenn sie das hören, schauen sie mich an, als würden sie sagen: „Was redet dieser Pai?“ Dann fange ich an, ein wenig für sie zu träumen, und ich sage ihnen zum Beispiel: „Stell dir vor, du hättest eines Tages einen guten Job, eine gute Arbeit,  und mit der Arbeit deiner Hände kaufst du ein kleines Stück Land und baust da ein eigenes kleines Haus? Und eines Tages hast du eine gute Frau an deiner Seite und wundervolle Kinder?“ Dann fangen die Gesichter der Jungen an zu strahlen. „Und kannst du dir vorstellen, dass deine Kinder eines Tages sagen: Danke, lieber Gott, für den tollen Vater, den du mir gegeben hast!?“ – „Ja, pa’i, das wäre super.“ „Und dass deine Kinder nie das leiden müssten, was du erlitten hast?“ – „Ja, dafür will ich mich anstrengen!“ Und dieser Jugendliche hat schon einen Traum,hat schon fast ein persönliches Ideal, wie wir in Schönstatt sagen würden: Mein Leben macht Sinn, es gibt etwas, für das es sich zu kämpfen lohnt! „Ich möchte nicht, dass meine Kinder erleiden, was ich erlitten habe. Ich möchte für sie der Vater sein, den ich nie hatte.“

Man könnte fast sagen, dass dies auch das persönliche Ideal von Pater Kentenich ist: Er war für viele ein Vater, er, der keinen Vater hatte. Die jungen Leute im Gefängnis motiviert das wirklich. Pater Guillermo Carmona, der vor langer Zeit mein Novizenmeister war und auch langjähriger Leiter der Bewegung in Argentinien, besuchte uns einmal in der Casa Madre de Tuparenda. Viel später sagte er, eines der Dinge, die ihn wirklich berührt hätten, sei gewesen,  als die Leiterin des Hauses ihm gesagt habe: „Wenn ein junger Mann den Sinn seines Lebens entdeckt, gibt er die Drogen und die Kriminalität auf.“ Und das ist wahr! Idealpädagogik verändert das Leben!

Wenn ein Jugendlicher seinen Traum entdeckt: „Ich möchte ein guter Vater sein, ich will für meine Kinder der Vater sein, den ich nie hatte“, dann rede ich direkt mit ihm. Ich sage: „Nun, und in diesem schönen Traum für dein Leben,  gibt es da Drogen, Raub, Gewalt?“-  „Nein, Pa’i!“ „Willst du als Mutter deiner Kinder eine gute Frau,  oder ein Mädchen von der Straße, eine Kriminelle, eine Drogensüchtige?“ – „Na klar, eine gute Frau!“ – „Und eine gute Frau, will die mit einem Dieb, Drogensüchtigen, Häftling gehen? Oder mit einem guten Mann?“ – „Mit einem guten Mann, pa’i!“ – „Gut, und was sind jetzt deine Hausaufgaben?“ – „Ich muss mit den Drogen und dem Unsinn aufhören,weil ich eines Tages ein guter Vater sein will!“

Das verändert das Leben! Und wie die Direktorin von Casa Madre sagte: Diese jungen Leute hören auf mit den Drogen. Zumindest einige … Natürlich gibt es viele, die es nicht schaffen, die aufgeben und zu demselben katastrophalen Leben wie zuvor zurückkehren. Aber einige schaffen es! Ich weiß nicht, ob Ihr Freunde, Kollegen, Verwandte kennt, die Drogen nehmen … Wenn man einmal Drogen genommen hat, ist es schwer, da wieder rauszukommen. Aber die Schönstattpädagogik ist eine große Hilfe! „Ich habe ein Ideal, es lohnt sich, für dieses Ideal zu kämpfen, auch wenn der Entzug mich beinahe umgebracht hätte und nur wieder Drogen nehmen wollte. Ich werde nicht fallen, weil ich ein guter Vater sein will!“

Das ist Idealpädagogik, und hier in Tupãrenda machen wir diese Erfahrung! In Casa Madre gibt es junge Leute, die sehr süchtig waren, sie waren sehr tief gefallen, aber sie haben es geschafft, aus all dem herauszukommen, und sind heute erfolgreiche Berufstätige. Ist euch klar, wie das alles wirklich mit dem zu tun hat, was wir hier lesen? Das hier, dieses Buch[4] ist nicht ein Buch voller Theorien, sondern das, was wir in Schönstatt zu tun versuchen, an der Peripherie und bei uns selbst.

 

Team der Gefängnispastoral

Vortrag für die Schönstattjugend von Tupãrenda, 3. Teil
16. September 2018
P. Pedro Kühlcke, Teil 3

Transkript: José Argüello, Tita Andras. Korrektur und Endredaktion: P. Pedro Kühlcke

[1]    Herbert King (ed.), José Kentenich: Una presentación de su pensamiento en textos. Band 5: Pädagogische Texte. (Deutsch: Ein Durchblick in Texten) Ed. Nueva Patris, Santiago de Chile, 2008. Zitiert als „King“ Seite 344

[2] „Sohn einer Großmutter“ – von der Großmutter aufgezogen, oft mit wenig oder keinem Kontakt zu den Eltern.

[3] Das Buch „Pädagogische Texte“.

 

Original: Spanisch. Übersetzung: Maria Fischer @schoenstatt.org

Kentenich-Pädagogik an der Peripherie (2)

Freiheit im Gefängnis?

 

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