Veröffentlicht am 2018-12-10 In Kentenich, Kolumne - Ignacio Serrano del Pozo

Drei Haltungen der Kindlichkeit gegenüber Pater Kentenich

Ignacio Serrano del Pozo vía www.schvivo.com •

Alle, die zur Schönstattfamilie gehören, kennen die Momente, in denen Mottos und Leitworte als Roadmap gefeiert wurden.  Kaum war der Gründer 1968 heimgekehrt in Haus des Vaters, hörte die Bewegung von Bischof Tenhumberg die Einladung, „Empfehlungsbrief für den Vater“ zu werden, in Anlehnung an die Passage bei Paulus, der den Korinthern schreibt, sie sollten ein Brief Christi werden, geschrienen nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist. Im Jahr 1985 sagte die Familie zum 100. Geburtstag von Pater Kentenich: „Dein Bund, unser Leben“. Und der heilige Johannes Paul II. forderte uns heraus: Sprecht ihr ihn heilig.  Im Kontext des Gründungsjubiläums 2014 hörte man: „Dein Bündnis, unsere Mission“, und im Jahr 2015 erinnerte Papst Franziskus uns: “ Ihr wisst, dass ein Charisma nicht ein Museumsstück ist, das unversehrt in einer Vitrine aufbewahrt wird, um betrachtet zu werden und sonst nichts. Treue, das Reinerhalten des Charismas, bedeutet ja keinesfalls, es in einer zugeschraubten Flasche einzusperren, als wäre es destilliertes Wasser, damit es sich nicht an der Außenwelt verschmutzt. Nein, das Charisma bewahrt sich nicht, indem man es hütet; man muss es öffnen und es herausgehen lassen, damit es in Kontakt tritt mit der Wirklichkeit, mit den Menschen, mit ihren Anliegen und Problemen.“  

Trotzdem haben 50 Jahre später, wo es gilt, Bilanz zu ziehen, viele das Empfinden, dass sich die Mission, auf die sich die Bewegung verpflichtet hat, sich nicht mit ausreichender Kraft und Ausdehnung manifestiert hat.  Es ist wahr, dass in den letzten Jahren starke apostolische Initiativen entwickelt wurden, beispielsweise in Kentenich-Schulen und pädagogischen Studienzentren im pädagogischen Umfeld oder in sozialen Einrichtungen wie Maria Ayuda in Chile oder den Rehabilitationszentren für straffällig gewordene Jugendliche in Paraguay.  Es ist auch wahr, dass ein Netzwerk von mehr als 200 Marienheiligtümer, die als Gnadenpole die Welt umspannen, und die starke Kampagne der Pilgernden Gottesmutter in hunderten von Ländern ein riesiges Geschenk an die Kirche sind, und beide schon von jedweder Spiritualität zu eigen gemacht wurden.  Und zu guter Letzt ist es unmöglich, sich nicht über den geistlichen Beitrag Dutzender von geistlichen Söhnen und Töchtern Pater Kentenichs zu freuen, die vom Himmel aus ein „Triumphierendes Schönstatt“ zeigen: Josef Engling, Karl Leisner,  Schw. Emilie Engel, Mario Hiriart, Hernán Alessandri…

Wir haben es noch nicht geschafft, eine erwachsene Kindlichkeit zu entwickeln

Das Fehlen großer Lebens-Strömungen post mortem fundatoris, eine gewisse Selbstversunkenheit unserer Schönstattfamilie, die mit einem Jubiläum nach dem anderen die „Herrlichkeiten vergangener Zeiten“ lebt,  und noch bedeutsamer, die Unfähigkeit von uns Schönstättern, eine neue Gesellschaftsordnung aufzubauen oder aus unserem Charisma heraus die Kultur zu gestalten, sind dieser Nadelstich, der uns dazu bringt, uns zu fragen, warum wir in unseren Vorschlägen zur Evangelisierung nicht mutiger und kreativer sein konnten. 
All das und manches mehr zusammen gibt ein Gefühl der Unzufriedenheit (Seelenstimme) mit dem, was verwirklicht worden ist, und sticht wie ein Dorn. Das Fehlen großer Lebens-Strömungen post mortem fundatoris, eine gewisse Selbstversunkenheit unserer Schönstattfamilie, die mit einem Jubiläum nach dem anderen die „Herrlichkeiten vergangener Zeiten“ lebt,  und noch bedeutsamer, die Unfähigkeit von uns Schönstättern, eine neue Gesellschaftsordnung aufzubauen oder aus unserem Charisma heraus die Kultur zu gestalten, sind dieser Nadelstich, der uns dazu bringt, uns zu fragen, warum wir in unseren Vorschlägen zur Evangelisierung nicht mutiger und kreativer sein konnten.

Die schnelle Antwort auf diese Frage könnte sein, dass es an Tiefe des „Liebesbündnisses“ in seinen vielfachen Dimensionen gefehlt hat: in der Tiefe hin auf Blankovollmacht und Inscriptio, in der Höhe hin zur Dreifaltigkeit.  Allerdings möchte ich eine andere Antwort zu versuchen.

Ich denke, dass der Schlüssel zur Erklärung einer schöpferischen Resultante mit wenig Spielraum und geringer Sprengkraft zu einem großen Teil darin besteht, dass wir  50 Jahre nach dem Tod des Gründers noch nicht verstanden haben, eine erwachsene Kindlichkeit zu entwickeln, die fähig ist, sein Erbe anzunehmen und zu vermehren.  Was Papst Franziskus den Katholiken in Chile gesagt hat – „die Kirche will, dass ihr den Volljährigkeitsausweis hervorholt, dass ihr geistlich mündig seid“ – könnte auch ein an die Schönstätter gerichteter Rat sein.

Tatsächlich ist anstelle einer erwachsenen KIndlichkeit viel eher eine infantile Kindlichkeit oder eine pubertäre Kindlichkeit vorherrschend.  Was soll das heißen? Selbst auf die Gefahr zu karikieren, um den fraglichen Punkt herauszustellen, könnten die fraglichen Haltungen wie folgt beschrieben werden:

Infantile Kindlichkeit – das Talent vergraben

Es stimmt, dass hinter dieser infantilen Haltung eine gute Dosis Liebe steckt, doch es ist genau diese Haltung, die aus Kentenich einen Heiligen anhimmelnder Verehrung macht oder ein unanrührbares Museumsstück.

Was ist infantile Kindlichkeit? Infantile Kindlichkeit zeichnet sich aus durch eine dauerhafte Entzückung und Blendung angesichts der mächtigen Gestalt des Vaters und Gründers.  Wie das Kind, das in seinem Papa naiv den Superhelden sieht, der alle Antworten auf alles was es nur gibt hat, so scheinen manche P. Kentenich zu betrachten. Unter dieser Optik scheint es gar keinen besseren Text der Schönstattigkeit zu geben als das Maß unserer schwärmerischen Bewunderung und Verehrung für den Gründer. Das Problem ist, dass viel Romantik in diesem Blick liebt, bisweilen sogar eine phantasiegeladene Einseitigkeit, die nur die schwindelnde Höhenlage des Lebens dessen sieht, der immer den Plänen Gottes treu und ein leuchtendes Transparent seiner Väterlichkeit war, selbst in den dunkelsten Momenten des Konzentrationslagers oder des Exisl; manchmal ist es Ahnungsloskeit, manchmal Ignoranz, doch wenn man keine anderen Diagnosen und Vorschläge kennt, dann erhält Kentenich eine unverdiente Originalität und Einzigartigkeit.

Es stimmt, dass hinter dieser infantilen Haltung eine gute Dosis Liebe steckt, doch es ist genau diese Haltung, die aus Kentenich einen Heiligen anhimmelnder Verehrung macht oder ein unanrührbares Museumsstück. In diesem Szenario scheint unser größter und bester Beitrag zur Mission darin zu bestehen, die selben Züge und Haltungen Pater Kentenichs immer und immer wieder zu wiederholen, frei von jeglichem Kontext und jeglicher Kritik.

Hinter dieser infantilen Haltung kann sich vielfach die Haltung des erschrockenen Dieners aus dem Gleichnis von den Talenten verbergen, der das Erbe lieber eingegraben hat, um all seinen Wert zu erhalten und jedweden Verlust zu verhindern.

Die pubertäre Kindlicheit – das ursprüngliche Talent verkaufen

Diese Leute neigen dazu, zu meinen, dass es Schönstatt an der Radikalität anderer Charismen und Bewegungen fehlt, und dass man die Dinge heute anders machen muss, da vieles, was Kentenich gesagt oder geschrieben hat, mit den Jahren an Wirkung verloren hat.

Die zweite Haltung, die Ärmlichkeit der Resultante erklären könnte ist die Häufigkeit, mit der wir uns in einer pubertären Kindlichkeit an den Vater und Gründer binden. Diese zeichnet sich durch eine gewisse Unzufriedenheit und Distanzierung gegenüber der Gestalt Kentenichs aus. Diese Haltung beobachten wir bei denen, die nach einer Weile bei Schönstatt, nachdem sie mit Begeisterung im Leben einer Gemeinschaft mitgemacht, einige Brocken Schönstattliteratur gelesen und ein paar ad hoc-Workshops mitgemacht haben, anfangen, sich etwas unwohl oder sogar enttäuscht zu fühlen.  Diese Leute neigen dazu, zu meinen, dass es Schönstatt an der Radikalität anderer Charismen und Bewegungen fehlt, und dass man die Dinge heute anders machen muss, da vieles, was Kentenich gesagt oder geschrieben hat, mit den Jahren an Wirkung verloren hat.  In dieser Situation wird der Mangel an Sinn durch ein frenetischen Apostolatsaktivismus ersetzt und das Fehlen von Inhalt durch Phrasen mit Selbstenzündungseffekt. In vielen Fällen versuchen diese „pubertierenden Schönstätter“ die Situation dadurch zu retten, dass sie andere, wirksamere spirituelle oder pastorale Erfahrungen suchen und dabei zu den Diagnosen anderer treffenderer Propheten greifen.

Um das schon benutze biblische Bild aufzugreifen, verdoppelt diese Haltung die Talente, allerdings um den Preis des Verkafus der ursprünglichen Goldmünze.

Wenn die infantile Haltung zu einer gewissen Erstarrung führt, so hat diese mehr als einmal zu Zersplitterung und Oberflächlichkeit geführt.

Erwachsene Kindlichkeit – Talente vermehren

Eine reife Haltung impliziert an erster Stelle, sich konkret zu fragen, welchen Teil des Erbes ich bereit bin, anzunehmen, welche Steuerlast zu zahlen, und was ich nicht aufheben werde oder von was ich mich trennen muss, mit all dem Schmerz, den das bedeutet.
An dieser Stelle erlaube ich mir, eine dritte Haltung vorzuschlagen, die genau dazu beitragen könnte, „die erhaltenen Talente zu vervielfachen“. Es geht darum, unsere Kindlichkeit gegenüber dem Gründer erwachsen zu leben. Die ersten beiden Haltungen sind normal und verständlich für die erste Gründungsphase, doch eine erwachsene Kindlichkeit sollte man in dieser neuen Zeit erwarten dürfen. Diese Haltung umschließt drei Eigenschaften, die ich mit den folgenden Begriffen zusammenfassen möchte: übernehmen, Kosten und Risiken übernehmen und diese Kosten und Risiken mit anderen zusammen übernehmen.

In der Tat ist die erste Aufgabe des Kindes, das ins Erwachsenenalter gekommen ist, ein Übernehmen: übernehmen, dass der Vater dahinter ist und wir an der vorderen Front. Das heißt, dass es jetzt an uns ist, für die Grenzen dessen, der uns das Leben gegeben hat, Vertantwortung zu übernehmen wie auch für die Verwaltung seiner Aufgaben und seiner Güter.  Im Fall von Kentenich geht es darum, sein Leben und sein Werk mit all seinen Helldunkeln anzunehmen; viele Dinge, die er getan hat, sind fragwürdig und manche Worte, die er gesprochen hat, arm, doch das verkleinert in keiner Weise das Geschenk seiner Person und seiner Vatererfahrung als Weg, Ausdruck und Sicherung des Bündnisses mit Gott. Dies ist der größte Reichtum und die Essenz eines Charisma, das wir uns zu eigen machen müssen.

In dieser gleichen Linie der Analyse sollte erkannt werden, dass diese erbliche Übernahme nicht frei von Kosten und Risiken ist.  Dieser Realismus ist Teil der Reife.  In schönstättischen Worten werden die Kosten immer in der Währung der Beiträge zum Gnadenkapital zu erbringen sein. Die Risiken sind Glaubenssprünge in der göttlichen Vorsehung.

Einfacher gesagt: Eine reife Haltung impliziert an erster Stelle, sich konkret zu fragen, welchen Teil des Erbes ich bereit bin, anzunehmen, welche Steuerlast zu zahlen, und was ich nicht aufheben werde oder von was ich mich trennen muss, mit all dem Schmerz, den das bedeutet. Hier ist kein Platz für ein „Schönstattianismus“ von emotionalen Schlagworten oder theoretischen Abhandlungen, sondern es geht um ein Folgen gegenüber dem Plan Gottes. Der Vater kann uns bitten, unsere kranke Frau zu versorgen, um darin die vom Kreuz durchbohrte menschliche Liebe zu bekunden, oder Schönstatt in Süostasien zu gründen, um eine neue Welle der Bewegung zu starten.  In beiden wie in allen anderen möglichen Situationen verlangt eine erwachsene Haltung die Frage, wie ich mich darauf vorbereiten werde, diese Aufgaben zu übernehmen, die es ermöglichen, das väterliche Erbe weiterzutragen.

Eine letzte Charakteristik, die ich vorschlage, um eine reife Haltung als Kind anzunehmen, ist die, Kosten und Risiken mit anderen zusammenfassen, in der Familie, zu übernehmen. Wir sind nicht die einzigen Erben… Es ist wahr, dass dies Konflikte bedeuten kann oder auch, dass sich einige Geschwisdter ihrer Verantwortung entziehen; doch nichtsdestotrotz ist erwachsene Kindlichkeit auch erwachsene Geschwisterlichkeit. Es geht darum, zu verstehen, dass eine Verteilung des Erbes nicht nur Aufteilung, sondern auch Diversifizierung des Empfangenen ist in Blick auf mehr Reichtum und Dynamik. In diesem Punkt braucht es auch eine gute Dosis an Hochherzigkeit, denn oft werden die besten Initiativen nicht unsere eigenen sein, aber ebensowenig die gesamte Verwantwortung.

Wie wollen wir darauf reagieren?

Am 15. September 1968 hörten viele: „Der Vater ist gestorben.“ Die Frage, die 50 Jahre danach aufsteigt ist die nach der praktischen Bedeutung dieses Wortes in uns, seinen rechtmäßigen Erben. Wie wollen wir darauf reagieren? Wird man sagen können, dass wir treue Söhne und Töchter zur Freude unseres Vaters und der fruchtbaren Weitergabe seines Erbes waren?

 

Veröffentlicht und übersetzt mit Erlaubnis des Verfassers.

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