Galilea

Veröffentlicht am 2020-04-20 In Kolumne - Carlos Barrio y Lipperheide, Solidarisches Liebesbündnis in Zeiten von Coronavirus

Unternehmer, soziale Poeten und Wertschöpfer in der Zeit von Covid-19

ARGENTINIEN, Carlos Barrio y Lipperheide •

Am 12. April veröffentlichte Papst Franziskus einen Brief, den er an dieVolksbewegungen und sozialen Organisationen in Argentinien schrieb und in dem er sie zu ihrer harten Arbeit beglückwünschte. Darin sagt er: „Wenn der Kampf gegen den COVID ein Krieg ist, sind Sie eine wahrhaft unsichtbare Armee, die in den gefährlichsten Schützengräben kämpft. Eine Armee, die über keine anderen Waffen verfügt als über Solidarität, Hoffnung und ein Gemeinschaftsgefühl, das in diesen Tagen wächst, in denen niemand allein gerettet wird. Sie sind für mich, wie ich Ihnen bei unseren Treffen (Welttreffen der Volksbewegungen, 9. Juli 2015 in Santa Cruz de la Sierra, Bolivien, u.a.) sagte, wahre soziale Poeten, die aus den vergessenen Randgebieten kommend würdevolle Lösungen für die dringendsten Probleme der Ausgeschlossenen schaffen.“ —

In einem anderen Teil seines Briefes sagt er: „Ihr, informelle, selbsttständige oder solidarwirtschaftliche Arbeiter habt kein festes Gehalt, um diesem Moment zu widerstehen… und die Quarantänen werden für euch unerträglich. Vielleicht ist es an der Zeit, über einen universellen Lohn nachzudenken, der die edlen und unersetzlichen Aufgaben, die Sie erfüllen, anerkennt und würdigt; einen Lohn, der in der Lage ist, diesen sehr menschlichen und sehr christlichen Slogan zu garantieren und zu verwirklichen: kein Arbeiter ohne Rechte.“

Ich finde die Forderung des Papstes, Arbeitern aus dem Bereich der Solidar-Wirtschaft ein Gehalt zu zahlen, ebenso herausfordernd wie lobenswert. Aber als Unternehmer kann ich nicht umhin, mich zu fragen, woher in einer Zeit des starken Rückgangs der Wirtschaftstätigkeit und der Steuereinnahmen die Mittel kommen sollen, um diese Ausgaben zu bezahlen. Ich glaube, dass nur Unternehmen in der Lage sein werden, den Reichtum zu schaffen, der notwendig ist, um diese Solidaritätslöhne zu bezahlen.

Niemand wird allein gerettet

Ich fühle mich sehr mit dem Papst verbunden, wenn er uns sagt, dass „niemand allein gerettet wird“. Sein Blick ist organisch und nicht exklusiv. Deshalb denke ich, dass wir auch auf Unternehmer den Satz anwenden könnten, den der Papst auf die Volksbewegungen beyieht: „Sie schaffen aus den vergessenen Peripherien heraus würdige Lösungen für die dringendsten Probleme der Ausgeschlossenen.“

Man denke nur an den enormen Beitrag, den Bill Gates bei dem Versuch leistet, einen Impfstoff gegen Covid-19 zu finden. Ohne Zweifel vergisst Gates die Peripherie nicht und versucht, würdige Lösungen für die dringendsten Probleme der Ausgeschlossenen zu schaffen.

Ich wage zu behaupten, dass es ein Akt der Gerechtigkeit wäre, Unternehmer auch als „soziale Poeten“ zu bezeichnen. Leider erfreuen sich viele von ihnen heute keiner guten Presse, aber es wäre unfair, alles zu vergessen, was sie auf kreative Art und Weise zum Wohle der Menschen tun und getan haben. Wie viele Träume sind durch Unternehmen ermöglicht worden! Die Liste wäre endlos lang.

Die Bedeutung von Reichtum neu denken

Enrique Shaw

Ich erinnere mich an das Licht, das uns der katholische Unternehmer und Diener Gottes Enrique Shaw gebracht hat, der uns mit seinem Leben und Denken einen Weg hinterlassen hat, dem wir folgen und auf dem wir die „sozialen Poeten“, d.h. die sozialen Bewegungen mit den Unternehmern vereinen können. Shaw sagte: „Reichtum kann nicht ausreichend vervielfacht werden, wenn wir Menschen uns nicht einig sind und solidarisch handeln.“[1] Daher wird die Solidaritätsaktion aller Menschen guten Willens, einschließlich der Unternehmer und derjenigen, die in sozialen Bewegungen arbeiten, der Ausweg aus dieser Krise sein.

Enrique Shaw hat die Bedeutung, die wir dem Reichtum beimessen, neu bewertet, indem er ihn umgedeutet und aus einer bestimmten negativen Konnotation herausgenommen hat, die er für viele Menschen hat. Ich glaube, dass Reichtum die Brücke ist, die es den Armen ermöglicht, aus der Armut herauszukommen, und die es den Unternehmen ermöglicht, voranzukommen. Sie sind das Ergebnis einer kreativen Aktion, die von einem koordinierten Team, d.h. von einem Unternehmen, durchgeführt wird. Unternehmen, so Shaw, „müssen Wohlstand schaffen…, die wirtschaftliche Vitalität erhöhen“ [2] „Wir wollen alles erobern, wir wollen alles bereichern, aber nicht, um irgendeinen Wunsch nach Herrschaft zu befriedigen, sondern um Gott mehr zu anzubieten.“ [3]

Materie, Mensch und der schöpferische Akt

In der gleichen Linie hatte er einen überraschenden Blick auf die Materie und holte sie heraus aus der kleinlichen und egoistischen Konnotation, in die sie so oft gestellt wurde, als wäre sie etwas Minderwertiges und Erniedrigendes. Sehr oft vergessen wir, dass der Mensch Geist und Materie ist.

Shaw hilft uns, ihren Wert zu vertiefen und wiederzuentdecken: „Geschaffene Güter … haben Ewigkeitswwert, und darüber hinaus wird die Materie eines Tages in einen Zustand versetzt werden, in dem sie nicht nur dem menschlichen Geist, sondern auch dem göttlichen Geist Ausdruck verleihen kann, wobei letzterer ihr ein Höchstmaß an Würde und Schönheit verleihen wird“[4] Diese durch die unternehmerische Tätigkeit verwandelte Materie wird es uns ermöglichen, Güter und Dienstleistungen zum Nutzen der Menschen zu schaffen, indem sie Reichtum hervorbringt und das Übel der Armut mildert.

Es wird um die Frage gehen, wo die Arbeit ihre Aufgabe erfüllen und dem Menschen, wie Joseph Kentenich öfters sagt, Teilnahme an der schöpferischen Tätigkeit Gottes ermöglicht. [5] In der Arbeit gibt es so viel Glück und Glückseligkeit, die demjenigen unbekannt sind, der sie nur oder meistens als eine bloße Gelegenheit betrachtet, sein Brot zu verdienen. Je mehr Gelegenheit mir die Arbeit gibt, mich kreativ und großzügig zu engagieren, desto mehr Freude wird sie mir bereiten … Sie wird die Gesundheit und Frische unseres Körpers und unserer Seele erhalten … Sie wird den Kern der Persönlichkeit entwickeln und ein gesundes Selbstbewusstsein wecken und vertiefen.[6]

Es ist klar, dass Reichtum und Materie uns nicht zu übermäßigem Egoismus und seiner Anhäufung zum Nachteil der Schwächsten führen dürfen. Der Papst erinnert uns daran, dass wir keine Wegwerfkultur,  keine Kultur der Gleichgültigkeit fördern dürfen, sonder ein „Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen“ sagen müssen.[7] Daher besteht der Weg nach vorn darin, alle „sozialen Poeten“ im Streben nach dem Gemeinwohl zu vereinen.

Neue Möglichkeiten für den Lebensunterhalt suchen

Ich lade Sie ein, den Abschnitt des Evangeliums, in dem Jesus seine Jünger vor der Vermehrung der Brote und Fische aufruft und sie bittet, „…ihm etwas zu essen zu geben“ (Lk 9,13), noch einmal unter unternehmerischer Perspektive zu lesen: Was für eine Herausforderung für einen Unternehmer, von der Knappheit ausgehend etwas zu essen zu geben!

Heute befinden wir uns aufgrund der verheerenden Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in einer ähnlichen Situation wie die Apostel, die Jesus darum bat, 5.000 Menschen mit 5 Broten und 2 Fischen zu ernähren!

Diese Bitte Jesu fordert mich heraus, nach neuen Wegen zum Lebensunterhalt zu suchen, wenn es keine Güter zu verteilen gibt. Wir müssen an all unseren Einfallsreichtum und Erfindungsreichtum appellieren, um Wohlstand zu schaffen, in einem Kontext sozialer Isolation und Armut, der die Regeln der Produktion verändert und uns auffordert, neue Wege zu entdecken, um zu „produzieren“ und schlicht und einfach den Menschen zu essen zu geben.

Ein großartiges Beispiel, das uns inspiriert, ist der paraguayische Unternehmer und „soziale Poet“ Juan Ramirez aus Ciudad del Este, Paraguay.

Seine kreative „unternehmerische soziale Poesie“ begeistert mich. Er schreibt:

Angesichts der Maßnahme der totalen Quarantäne in Paraguay (auch der Verkehr von Fahrzeugen ist mit einigen Ausnahmen verboten) wurden viele Arbeiterinnen und Arbeiter entlassen. Wir hatten das Gefühl, dass wir uns neu erfinden mussten.

Vor 20 Tagen haben wir mit meiner Tochter ein neues Projekt begonnen, etwas völlig anderes als unser übliches Arbeitsgebiet (Vertrieb von Computerprodukten).

Wir beschlossen, mit der nationalen Produktion von Mundschutz/Masken und medizinischen Schürzen, Kopfschutz und Schuhen für Krankenhäuser zu beginnen, mit lokalem Rohmaterial. So haben wir Arbeitsplätze für hundert arbeitslose Näherinnen geschaffen und zwei Bekleidungsfabriken für den Export (von Dritten) reaktiviert, die wegen dieser Isolationsmassnahmen in Paraguay eingestellt wurden.

Ciudad del Este, Paraguay: Verteilung von Lebensmittelpaketen

In der Not kreativ und solidarisch

Aber hinter seiner unternehmerischen Poesie entsteht in vollkommener Einheit und Harmonie seine „Sozialpoesie“. Er erklärt:

Über unsere Unternehmensführung haben wir auch eine große Solidaritätskampagne durchgeführt, um gefährdeten Bereichen der Stadt zu helfen. Glücklicherweise haben sich die Mitglieder unserer Handels- und Dienstleistungskammer ohne eine Minute zu zögern „auf den Weg gemacht“, und insgesamt verteilen wir mehr als 10.000 Körbe mit nicht verderblichen Lebensmitteln an bedürftige Familien.

Wir aktivieren auch den Paraná Country Club, von wo aus wir zunächst 1000 Lebensmittelsets an gefährdete Familien in unserer Region spenden werden. Das Ziel ist es, 5000 Körbe zu sammeln.

Mit der Handelskammer werden wir 1000 Lebensmittelsets an die Pfarreien spenden, die die Priester an die bedürftigsten Familien verteilen können.

Insgesamt ist es uns bereits gelungen, 15.000 Lebensmittelsets von der Handelskammer aus zu sammeln.

Heute werden wir dem Bürgermeister von Ciudad del Este 1000 Packungen Milch und 3000 Kilo Sojabohnen zur Herstellung von Sojamilch spenden.

Unsere Mission ist es, den gefährdeten Bevölkerungsgruppen zu helfen, die von der Schließung der Arbeit im Mikrozentrum betroffen sind. Wir unterstützen die Entscheidung der nationalen Regierung und dürfen nicht vergessen, dass es Familien gibt, die auf ihr tägliches Einkommen als Tagelöhner angewiesen sind und die jetzt nicht arbeiten können. Gemeinsam, vereint, müssen wir diese große Gesundheitskrise überwinden.

Nachdem ich diese Nachricht auf www.schoenstatt.org gelesen hatte, setzte ich mich direkt mit Juan in Verbindung, und er erzählte mir weitere Facetten seiner „Sozialpoesie“: „Wir bieten ein qualitativ hochwertiges Nationalprodukt zu einem fairen Preis und ohne Marktspekulation an, im Gegensatz zu vielen Krisengewinnlern, die die Situation und die Produktknappheit ausnutzen. Wir haben das Gefühl, dass wir einen Beitrag für das Land leisten. Und all dies kommt aus dem Herzen und mit guten Absichten. Wir tun dies im Namen Gottes, da wir das Gefühl haben, dass wir von ihm in diesem Werk inspiriert wurden.“

Was für ein sozialer Poet! einerseits, sich als Unternehmen in Krisensituationen neu zu erfinden und durch eine neue kommerzielle Aktivität Arbeit zu schaffen, und andererseits eine ganz konkrete Solidaritätsaktion durchzuführen, um die dringende und unabwendbare Not so vieler Familien zu stillen, die wegen COVID-19 ihre Einkünfte verloren haben.
Lasst uns „Sozialpoeten“ sein, dem Beispiel von Juan Ramírez folgen, in dem Wissen, dass der Papst uns in seinem oben erwähnten Brief einschließt und ermutigt und uns auch als „… unverzichtbare Baumeister dieses unaufschiebbaren Wandels“ betrachtet. „In der Tat haben Sie eine maßgebende Stimme, die bezeugt, dass dies möglich ist.“[8]

 

Carlos E. Barrio y Lipperheide
carlosebarrio@gmail.com
17. April 2020

 

[1] Enrique Shaw. “… Y dominad la tierra”. Editorial ACDE (2010), pág. 142. Conferencia pronunciada por Enrique Shaw en la Reunión Nacional de Dirigentes Hombres de Acción Católica (Buenos Aires, 4 de marzo de 1962).
[2] Enrique Shaw. “… Y dominad la tierra”. Editorial ACDE (2010), pág. 73. Conferencia “Eucaristía y vida empresaria”, pronunciada por Enrique Shaw en el VI Congreso Eucarístico Nacional (Córdoba, 9 de octubre der 1959).
[3] Enrique Shaw. “… Y dominad la tierra”. Editorial ACDE (2010), pág. 134. Conferencia pronunciada por Enrique Shaw en la Reunión Nacional de Dirigentes Hombres de Acción Católica (Buenos Aires, 4 de marzo de 1962).
[4] Enrique Shaw. “… Y dominad la tierra”. Editorial ACDE (2010), pág. 139. Conferencia pronunciada por Enrique Shaw en la Reunión Nacional de Dirigentes Hombres de Acción Católica (Buenos Aires, 4 de marzo de 1962).
[5] Das hier im spanischen Original angeführte Zitat von P. Joseph Kentenich stammt aus einer Textsammlung; die einzelnen Texte lassen sich nicht auf Originalzitate zurückführen, sondern sind sinngemäße Widergaben.
[6] Das hier im spanischen Original angeführte Zitat von P. Joseph Kentenich stammt aus einer Textsammlung; die einzelnen Texte lassen sich nicht auf Originalzitate zurückführen, sondern sind sinngemäße Widergaben.
[7] Papst Franziskus, “Evangelii Gaudium”, Nr. 53: Ebenso wie das Gebot „du sollst nicht töten“ eine deutliche Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern, müssen wir heute ein „Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen“ sagen. Diese Wirtschaft tötet. Es ist unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um zwei Punkte in der Börse Schlagzeilen macht. Das ist Ausschließung. Es ist nicht mehr zu tolerieren, dass Nahrungsmittel weggeworfen werden, während es Menschen gibt, die Hunger leiden. Das ist soziale Ungleichheit. Heute spielt sich alles nach den Kriterien der Konkurrenzfähigkeit und nach dem Gesetz des Stärkeren ab, wo der Mächtigere den Schwächeren zunichte macht. Als Folge dieser Situation sehen sich große Massen der Bevölkerung ausgeschlossen und an den Rand gedrängt: ohne Arbeit, ohne Aussichten, ohne Ausweg. Der Mensch an sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann. Wir haben die „Wegwerfkultur“ eingeführt, die sogar gefördert wird. Es geht nicht mehr einfach um das Phänomen der Ausbeutung und der Unterdrückung, sondern um etwas Neues: Mit der Ausschließung ist die Zugehörigkeit zu der Gesellschaft, in der man lebt, an ihrer Wurzel getroffen, denn durch sie befindet man sich nicht in der Unterschicht, am Rande oder gehört zu den Machtlosen, sondern man steht draußen. Die Ausgeschlossenen sind nicht „Ausgebeutete“, sondern Müll, „Abfall“.
[8] Papst Franziskus. Brief vom 12. April 2020 an die sozialen Bewegungen und Organisationen Argentiniens. Es gibt keine offizielle deutsche Übersetzung.

Das spanische Original ist kein Exklusivmaterial, auch in anderen Medien veröffentlicht. Bearbeitung, Veröffentlichung und Übersetzung mit Erlaubnis des  Verfassers.

Original: Spanisch, 19.04.2020. Übersetzung: Maria Fischer @schoenstatt.org

“Hay familias que dependen de sus ingresos diarios y que hoy están impedidas de trabajar…”

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