Veröffentlicht am 2016-03-25 In Projekte

Rund um den Tisch: (mehr als) eine Tagungsmethode nach Kentenich

DEUTSCHLAND/SCHWEIZ, Melanie und Ulrich Grauert •

Im Leitbild der IKAF (Internationale Kentenich-Akademie für Führungskräfte) heißt es unter anderem: „Echte Gottesliebe, die in uns brennen soll, schenkt uns eine neue Sicht, ein neues Verstehen …“

Dieses „neue Verstehen“ ist beim IKAF-Wochenende Anfang März in Memhölz besonders zum Leuchten gekommen. An verschiedenartigsten Realsituationen wurde deutlich erfahren, wie man sich im Team – in der großen Runde – durch die Charismen und Erfahrungen jedes Einzelnen gegenseitig stärken und bereichern kann. In der für die IKAF typischen Arbeitsweise war wieder beim ganzen Wochenende dieses Kreisen um den Gott des praktischen Lebens spürbar.

Diese Arbeitsweise ist einfach am Stil von Pater Kentenich abgeguckt und heißt „Rund um den Tisch“. Man könnte durchaus auch sagen: Es ist der von Pater Kentenich vor genau 100 Jahren in der Zeitschrift MTA modellhaft entfaltete Kommunikationsstil, umgesetzt in Tagungsmethode. Gegenseitige Anregungen aus dem realen Leben zum Einsatz für das Ideal organischer Unternehmensführung in dieser konkreten Zeit.

Einer erzählt eine Erfahrung, eine Beobachtung, eine Geschichte. Und gemeinsam sucht und findet man darin Gottes Stimme …

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Social ist das Wichtigste

Ein Vorbereitungsteam trifft sich um ein Motto zu erarbeiten. Zuerst gibt es eine Brotzeit mit gutem Kaffee – Ankommen, Austauschen, was gibt es Neues? Ein positives Klima entsteht. Das eigentliche Arbeiten beginnt erst eine dreiviertel Stunde später, aber dann in guter Atmosphäre. Die Beobachtung war, dass das Arbeiten dichter, intensiver, besser und schneller war als sonst und das aufgrund der guten Atmosphäre, die vorher entstehen kann. Auch die, die etwas später kommen, weil der Anfahrtsweg im dichten Verkehr länger dauerte, können dann ‚ankommen‘ und mit einsteigen, das zu spät kommen macht dann gar nichts.

Sr. Carol, die viel mit Pater Kentenich gearbeitet hat, erzählte, dass er ihr einmal sagte: „Social ist das Wichtigste!“

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Pausengespräche als Arbeitszeit

Am Ende eines Workshops in einem Unternehmen: in der feedback-Runde sollte jeder für sich aufschreiben, was ihm am besten gefallen hat und was er sich mitnimmt. Da stößt der eine Nachbar den anderen an und meint: „Gelt, die Pausen waren das Beste!“ Pausen, in denen man einfach beieinander steht, ohne Arbeitsauftrag und ohne Druck, aber mit Freude. Viele haben trotzdem an den Themen weiter geschafft, aber eben in lockerer Atmosphäre.   Eine  ganze Bandbreite von Themen wurde auch so ‚abgearbeitet‘.

Durch das absichtslose Beieinandersein wird viel mehr wach, sowohl inhaltlich, wie auch Klima  schaffend. Die Erkenntnis: Pausengespräche  können auch vollwertige Arbeitszeit sein. Pausen also nicht immer mechanistisch trennen von der Arbeitszeit. Es ist aber nicht leicht, den Wert der Pausengespräche, den Wert von „Social ist das Wichtigste“ rational zu erklären. „Social“ muss man vielmehr erlebt haben.

Bei einem Kernteam-Treffen ist ein junger Mann dabei. Zu Beginn startete das Treffen eher locker, und es war bemerkbar, dass der Mann ständig auf seine Uhr schaute, wenn nicht auf die Armbanduhr, dann zumindest auf seine innere Uhr. Dann die Bemerkung: „Wir müssen doch eigentlich was schaffen, wann geht es denn endlich los?“ Erst später, als er sich auf die Arbeitsweise eingelassen hat, kam die Wahrnehmung von ihm selber, dass man schon längt am Arbeiten war und zwar sehr produktiv und mit Freude.

Ein Teilnehmer nimmt sich vom Wochenende mit, dass er bei sich im Büro oder im Flur Stehtische aufstellen möchte, um Arbeitsgespräche auch einmal in anderer Atmosphäre führen zu können. Andere Ideen sind: Schokolade als „Nervennahrung“ auf dem Tisch, eine kleine Tischdekoration für gute Atmosphäre, Brezelrunde bevor es losgeht, wir erzählen uns gegenseitig den Erfolg der letzten Woche, usw.

Lockerheit kann man nicht verordnen, aber wir können Atmosphäre dafür schaffen. Pausenzeit ist kostbare Zeit.

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Erfolg mit EIS-Methode

ZuschneidenEin Mitarbeiter muss ein Treffen mit ca. 10 Teilnehmern organisieren. Das Treffen ist für zwei Tage angesetzt, und er hatte begonnen, die Agenda zusammen zu stellen. Der Chef schlägt ihm vor, doch einmal mit der EIS-Methode zu arbeiten (E=Entscheidung, I=Information, S=Sounding; zu Beginn hängt jeder Teilnehmer, der einen Punkt  besprechen will, seine Karten an die Pinnwand, zusammen mit der Kategorisierung nach E, I, S. So entsteht die gesamte Agenda des Treffens. Nähere Information gerne bei den Entwicklern der Methode). Nach anfänglichem Unbehagen entschließt sich der Mitarbeiter, sich auf das Wagnis einzulassen. Als Vorbereitung zum Treffen schickt er lediglich das Thema sowie zwei, drei anregende Fragen dazu, damit sich die Mitarbeiter bereits Gedanken machen können.

Zu Beginn des Treffens werden alle Punkte, die bearbeitet werden sollen, auf Karten geschrieben. Jeder Teilnehmer ist voll dabei, weil er „seine Punkte“ mit einbringen kann,  Dinge die jetzt dran sind, die Klärung bedürfen, die entschieden werden müssen oder wo einfach nur informiert werden muss. Als der Mitarbeiter nach dem Treffen wieder ins Büro kommt,  ist er rundum zufrieden. Geringe Vorbereitungszeit, intensives Arbeitstreffen und das Protokoll und alle TO DOs sind fertig aufgeschrieben – keine Nacharbeit. „Das mache ich wieder so, war echt super genial!“ war dann die Antwort auf die Frage, wie es gelaufen sei.

Wir müssen wieder einen „Rund-um-den-Tisch“ machen

Ein Mitarbeiter schreibt seinem Vorgesetzten: „Wenn Du demnächst hier bist, müssen wir aber einen ‚Rund um den Tisch‘ machen“. Also nicht: dann müssen wir uns treffen, uns besprechen, sondern dann müssen wir einen „rund um den Tisch machen“.

Pater Kentenich hat im Zusammenhang mit seiner MTA-Zeitschrift das Wort geprägt: „rund um den Tisch“. Nicht der „runde Tisch“, sondern rund um den Tisch. In allen Formen von Kommunikation und somit auch Arbeitsbesprechungen, sieht er das Ideal: Mitarbeiter sitzen rund um den Tisch und rund um den Tisch sitzen somit auch kompetente Erfahrungen, die sich gegenseitig bereichern können. Es steht also nicht einer oben drüber.

In seinen Romvorträgen sagt Pater Kentenich, dass das neue Kirchenbild für ihn aus „rund um den Tisch“ besteht. Papst, Bischöfe, Hausfrauen, Messdiener und Unternehmer sitzen rund um den Tisch und tauschen sich gegenseitig aus, ohne dass irgendeiner spürbar eine andere Stellung oder Deutungshoheit hat. Ist das utopisch?

Führung bedeutet, das ‚Miteinander-arbeiten-können‘ überhaupt zu ermöglichen. Stark also auf der Ebene der Moderation und viel mit der Kompetenz der Mitarbeiter arbeiten.

So wie Papst Franziskus auf der Synode im letzten Oktober zu den Kardinälen gesagt hat: Redet was ihr wollt …, durch meine Anwesenheit und ohne etwas zu sagen, ist alles garantiert, was garantiert bleiben muss. Dadurch, dass ich es höre und dadurch, dass ich dabei bin ist Gewähr geleistet. Das ist die hauptsächliche Rolle, die die Führungsperson ausübt. Es ermöglichen, dass völlig verschiedene Menschen und Erfahrungen und auch komplett konträre Positionen zusammen kommen können.

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Integration von Firmenteilen

Im letzten Sommer wurde in einer Firma umstrukturiert. Zwei Bereiche wurden zusammengelegt. Der Verantwortliche für einen Bereich erhält ein neues Team dazu. Das Problem ist, dass alle an einem Standort sind, Außer einem Mitarbeiter, der knapp zwei Stunden entfernt tätig ist. Es ist extrem schwierig diesen einen Mitarbeiter zu integrieren und es gibt auch nicht so viele operative Berührungspunkte. Es fühlt sich an, als ob er immer noch in einer anderen Firma arbeitet.

Nach längeren Gesprächen kommt man drauf, dass jede Firma Erbanlagen hat. Was war geschehen?

Der andere Bereich wurde vor 7 Jahren in einer Firmen-Akquisition übernommen, aber die Geschäfte wurden weiter separat geführt.

Während in der eigenen Firma die Kultur durch eine Große Konzernstruktur geprägt ist, war die übernommene Firma ein großer Familienbetrieb. Noch 7 Jahre nach der Akquisition war die familienhafte Kultur stark spürbar und zeichnete sich vor allem durch kurze Entscheidungswege und flexible Vorgehensweisen aus. Jeder redet mit jedem, auch abteilungsübergreifend. Das passt nur schwer zur Konzernstruktur.

Jetzt sollen die Bereiche zusammengefügt werden und um das zu unterstützen, gibt es verschiedene Ideen: Gemeinsames Arbeiten an Projekten, gegenseitige Einladung zu Weihnachtsfeiern, Mitarbeiter arbeiten eine Woche pro Monat am anderen Standort.

Keine Kontrollbesuche, sondern gemeinsames Arbeiten – dadurch lernt man sich besser kennen, hat abends gemeinsame Zeit im Ausgang und man lernt auch die andere Firmenkultur kennen, verstehen und schätzen. Was können wir voneinander lernen? Bei Akquisitionen können Übernahmeverletzungen geschehen. Diese können sich wie ein Schleier jahrelang über Mitarbeiter und Geschäft legen. Diese „Verletzungen“ müssen zuerst heilen.

Barmherzigkeit und Unternehmen?

logoIn seinen Victoria-Patris-Vorträgen im September 1967 sagte Pater Kentenich:

Ich bleibe noch einen Augenblick stehen. Die große Frage lautet ja …: Wie darf ich auf meine Schwächen, auf meine Fehler, auf meine Sünden, auf meine Krüppelhaftigkeit antworten? (Gleich), ob es sich dreht um körperliche Krüppelhaftigkeit, um ethische oder religiöse Krüppelhaftigkeit. Wie darf ich darauf antworten? 

(Erstens): Uns nicht wundern! Worüber nicht wundern? Über alle die Versuchungen und Schwierigkeiten unseres Lebens, über die Schandtaten unseres Lebens. Uns nicht wundern! Wenn schon wundern, dann höchstens (sich) wundern, dass es nicht noch schlimmer ist! …uns nicht wundern, dass wir so sind! 

(Zweitens): nicht verwirrt werden! 

(Drittens): nicht mutlos werden! 

(Viertens) nicht heimisch (werden)! Also nicht etwa sagen: So ist es halt, ich kann nicht anders, lass‘ alles laufen …

Wir wollen siegen über die Vatergüte, wir wollen durch unser Kleinsein, (durch das)

Bekennen und Anerkennen unseres Kleinseins, die barmherzige Vaterliebe Gottes in beispielloser Weise auf uns herabziehen. Darauf kommt es an. Das ist das Meisterstück unseres Lebens …

Jetzt mitten hinein ins frische Menschenleben! Mit beiden Händen und Fäusten es anpacken! In mein Leben! Hinein in das Kreisen um den Gott des praktischen Lebens.“

Dies ist ein Ausschnitt aus den Texten, die beim IKAF-Treffen am ersten Märzwochenende in Memhölz gelesen wurden. Ein weiterer Text war eine Ansprache von Papst Franziskus bei seiner Apostolischen Reise nach Mexiko. Es war ein Hineintauchen in das Thema der göttlichen Barmherzigkeit, oder vielmehr erst ein erstes Tasten, wie es nach dem ersten Hineintauchen in das Thema klar wurde. Barmherzigkeit und Wirtschaft, Barmherzigkeit und Unternehmen? Eine Frage, die zunächst einfach erstaunte …

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