Veröffentlicht am 2017-08-20 In Haus Madre de Tuparenda, Werke der Barmherzigkeit

Jeder Absolvent ist ein Geschenk, ein Wunder und ein lebendiges „Ja, es geht“

PARAGUAY, Ani Souberlich und Maria Fischer •

30. Juli, ein sonniger, frischer Nachmittag. In der Nähe des Bildstocks sitzen ein paar Jugendliche im Gras, Gitarren in der Hand. Sie zupfen, schlagen und singen zwischen stolzem Lächeln und Verlegenheit, mehr schlecht als recht zurückgehaltenem Gelächter und machen dann weiter mit dem ernsthaften Einstudieren und Proben einiger Lieder … Es sieht aus wie eine Szene aus einem Lager der Mannesjugend oder einem entspannenden Moment bei den Misiones … Aber wir schauen auf Jugendliche, die noch vor wenigen Wochen im Gefängnis waren und die unglaubliche Erfahrungen von Verwahrlosung, Armut, Hunger, Gewalt und Krankheit hinter sich haben. Sie proben mit ihren Gitarren – ein Geschenk, das das Haus wenige Wochen zuvor dank eines großzügigen Spenders erhielt -, um die Lieder bei der Messe zu begleiten und um danach im Heiligtum Beethovens „Ode an die Freude“ zu spielen…

Jesus näher kommen

Denn an diesem 31. Juli gab es wieder ein Fest in Haus Madre de Tupãrenda. Diesmal war es wegen gleich zwei großer Ereignisse: dem Abschluss von Blas und dem Ja von neun Jugendlichen, die sich in voller Freiheit  für die Sakramente der Taufe, Erstkommunion und Firmung entschieden hatten.

Zwei Jugendliche wollten die Taufe empfangen, fünf weitere die Firmung, und als Paten wählten sie die Anleiter und Berater von Haus Madre de Tupãrenda.

Wenn man denkt, woher sie kommen, wenn man denkt, wohin sie abends gehen, wenn man denkt, wohin sie gehen, wenn sie ihre Zeit im Haus Madre de Tupãrenda zu Ende haben – dann kann man nur noch an den Guten Hirten denken, der seine verlorenen Schafe mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit sucht, um ihre Wunden zu heilen, sie fest zu drücken, sie stark zu machen und sein eigenes Leben für sie zu geben…

Das Herz des Guten Hirten sagt uns, dass seine Liebe keine Grenzen kennt, dass es nicht müde wird und niemals aufgibt.  Dort sehen wir seine ständige, uneingeschränkte Selbsthingabe; dort finden wir die Quelle der treuen und sanften Liebe, die frei lässt und frei macht; dort entdecken wir jedes Mal neu, dass Jesus uns liebt » bis zur Vollendung « (Joh 13,1) – er hört nicht früher auf: bis zur Vollendung! –, ohne sich jemals aufzudrängen.

Das Herz des Guten Hirten streckt sich uns entgegen, es ist auf den „gepolt“, der am weitesten entfernt ist; hartnäckig zeigt die Nadel seines Kompasses dorthin, dort offenbart es eine besondere Schwäche der Liebe, denn es möchte alle erreichen und niemanden verlieren“, sagte Papst Franziskus am 3. Juni 2016.

Ode an die Freude

Das hatte niemand erwartet. Ein Moment im Heiligtum, der viele tief bewegte.  Die Anwesenden hörten einen der Teilnehmer des Programms, der erst seit ein paar Wochen Gitarre lernt, den vierten Satz 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven, die Ode an die Freude, spielen. Wir haben dieses Meisterwerk in großen Konzertsälen gehört, in Europa erklingt sie als Hymne der Europäischen Union wieder und wieder im Fernsehen, wir haben Weltklassekünstler diese Musik aufführen gehört – und jetzt erklingt sie, etwas schüchtern und zaghaft von einem jungen Mann auf der Gitarre gespielt, und sie trifft uns mitten ins Herz.

Wem der große Wurf gelungen,

Eines Freundes Freund zu sein …

Ja wer auch nur eine Seele

Sein nennt auf dem Erdenrund!

Seid umschlungen, Millionen!

Diesen Kuss der ganzen Welt!

Brüder, überm Sternenzelt

muss ein guter Vater wohnen.

Ihr stürzt nieder, Millionen?

Ahnest du den Schöpfer, Welt?

Such‘ ihn überm Sternenzelt!

Über Sternen muss er wohnen.

Ja, in diesen Momenten, ahnen wir den Schöpfer der Welt, den Barmherzigen Vater, den Guten Hirten …

Es geht

Bei der Abschlussfeier erhielt Blas, der bei der Messe die Lesung vorgetragen hatte, sein Diplom als Zeichen des erfolgreichen Abschlusses und viel Anerkennung durch seines Kameraden und Angehörigen. Dazu bekam er Zeugnisse für die Bereiche, in denen er Kenntnisse erworben hatte.

Der Justizminister, Ever Martínez, der zur Freude der Verantwortlichen von Haus Madre de Tupãrenda an der Abschlussfeier von Blas teilnahm, betonte, dass das Programm zur Wiedereingliederung von Haus Madre de Tupãrenda innovativ sei und ganz offensichtlich erfolgreich. „Die Landesregierung tätigt eine echte Investition, indem sie auf Programme mit einem integralen Ansatz zum Wohle der Gesellschaft setzt“, heißt es in einer Pressemitteilung des Justizministeriums.

Der Leiter des Nationalen Dienstes zur Betreuung jugendlicher Straftäter, SENAAI, Orlando Castillo, erklärte, dass „kleine Maßnahmen zeigen, dass der Prozess Früchte trägt; dies ist ein Werk, das durch das Engagement und die wirksame Koordinierung zwischen öffentlichen Institutionen und Fundaprova erreicht wurde“.

Ana María Mendoza de Acha, Vorsitzende von Fundaprova, lobte die Jugendlichen, die die Verpflichtung annehmen, soziale und arbeitsbezogene Kenntnisse zu erwerben zur vollen Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Sie dankte für die Begleitung seitens der Institutionen und den Mitgliedern von Fundaprova für ihre Begleitung der jungen Menschen.

Blas hat das Ziel des neunmonatigen Programms von Haus Madre de Tupãrendá erreicht, dessen Hauptziel die Stärkung der Persönlichkeit durch Räume persönlicher, gemeinschaftlicher und spiritueller Erziehung und Ausbildung für die Arbeitswelt ist. Seine kurze Ansprache sagte alles … Da stand ein junger Mann, der dankte und weiter vorankommen will.

Phasen des Projektes:

1: Aufnahme – Auswahl der Kandidaten
2: Anpassungsphase – gegenseitiges Kennenlernen – 1 Monat
3: Ausbildungsphase – Kurse in Bäckerhandwerk, Gartenbau und Arbeitsgrundlagen – 7 Monate
4: Arbeitserprobung – Praktikum in Unternehmen  – 1 Monat
5: Nachbetreuung – für alle Jugendlichen, die die vorherigen Phasen abgeschlossen haben – 6 Monate

 

Ein Programm, das alle fordert – und Frucht zeigt

Man könnte ja denken, dass diese Abschlussfeiern mit der Zeit Routine werden… Ist aber nicht der Fall, da es jedes Mal um eine ganz persönliche Lebensgeschichte geht. Die täglichen Fortschritte im Kleinen und Alltäglichen fordern von jedem Anstrengung und Opfer unterschiedlicher Art. Die Begleitung durch das Technische Team und die Anleiter in diesem Prozess ist entscheidend für die Entwicklung des Persönlichen Wachstumsplanes. Es ist ein Lebensprojekt, in dem der Teilnehmer sich selbst erkennen, beurteilen, überprüfen und bewerten lernt. Dabei entwickelt er auch eine Möglichkeit zum Aufzeichnen und Überprüfen seiner Lernziele. Das Führen eines Persönlichen Wachstumsplans ist ein brauchbares Instrument zum Nachdenken über die persönlichen Ziele und zum Überlegen, welche Fähigkeiten und Eigenschaften entwickelt werden müssen, um die genannten Ziele zu erreichen. Beim Persönlichen Wachstumsplan werden nicht nur Maßnahmen festgelegt, die zur Erreichung eines bestimmten Ziels erfüllt sein müssen, er setzt auch Termine und Fristen, bis zu denen diese erfüllt und ausgewertet werden sollen. Darum ist jeder Absolvent ein Geschenk, ein Wunder und ein lebendiges „Ja, es geht“. Jeder Absolvent schenkt uns allen, die wir diesen Wandlungsprozess Tag für Tag begleiten, die Überzeugung, dass es sich lohnt, weiterhin auf diese jungen Leute zu setzen. Es lohnt sich, daran zu glauben, dass Veränderung möglich ist. Auch wenn sie viele Male gefallen sind, haben sie noch viele Male mehr den Mut gehabt, wieder aufzustehen … Auch wenn ihre Vergangenheit ihnen weh tut, auch wenn die lange Zeit der Verwahrlosung ihre Seelen ausgetrocknet hat und man sie immer und immer wieder betrogen und belogen hat … , haben sie die Kraft, aufzustehen, das alles abzuschütteln, und klaren Blickes und aufrechten Ganges weiter zu gehen, trotz allem. Das ist Stärke, das ist Mut, das ist ein Geschenk, das nur Gott und Maria ihnen geben können. Die Gnade wirkt an diesem Ort, wohl viel mehr, als wir uns vorstellen können.

In diesem Moment haben wir 22 Teilnehmer und eine Warteliste von viel mehr Jugendlichen, die ihre Vergangenheit hinter sich lassen und neu anfangen wollen, und die sich hier dafür stark machen möchten. Es geht nicht um Assistenzialismus, sondern darum, die Person aus ihrer Geschichte heraus zu sehen und anzufangen, neu aufzubauen, ihr die Werkzeuge an die Hand zu geben, die sie braucht, nicht nur, um Arbeit zu finden, sondern um diese auch zu behalten.

Glauben wir weiter und setzen wir weiter auf diese Jungen. Danke für alle Hilfe, die wir erhalten.

 

Original: Spanisch, 13.08.2017. Übersetzung: Maria Fischer, schoenstatt.org

Pressemeldung des Justizministeriums (spanisch)

http://www.ministeriodejusticia.gov.py/index.php/noticias/casa-madre-tuparenda-una-oportunidad

Die ersten Absolventen von Haus „Madre de Tupãrenda“

 

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