Veröffentlicht am 2019-02-19 In Franziskus - Botschaft, WJT 2019

Die Welt ist nicht nur für die Starken

BOTSCHAFTEN VON PAPST FRANZISKUS BEIM WJT IN PANAMA 2019, Maria Fischer •

Rund 600.000 Menschen versammelten sich am Abend des 26. Januar zur Vigil des Papstes mit der Jugend des Weltjugendtags Panama 2019. Neben der Rede des Heiligen Vaters beinhaltete die Vigil verschiedene Momente des Zeugnisses junger Menschen, musikalische Darbietungen und eine lange Zeit des Gebets vor dem Allerheiligsten. Am Ende besuchte die Pilgernde Gottesmutter von Fatima das Campo San Juan Pablo mit seinen vielen Pilgern. Unter den vielen beeindruckenden Momenten und Sätzen dieser Nacht bleiben mir das Gebet von Luis Felipe Font, einem jungen Mann im Rollstuhl aus der Mannesjugend von Costa Rica, der vor Jesus, dem Papst und Tausenden von Jugendlichen für Missionsberufungen betete, und der Satz von Papst Franziskus: „Die Welt ist nicht nur für die Starken.“—

Vigilia Campo San Juan Pablo ll

Die Monstranz, die für die Vigil des Weltjugendtages verwendet wurde, war voller Symbolkraft: Das Gesicht der Gottesmutter hat die Züge der lateinamerikanischen Frau. Die Statue hat in ihrem Schoß einen Tabernakel, geschmiedet mit geschmolzenen Patronenhülsen. Sie erinnern an die Gewalt, die Lateinamerika seit Jahrzehnten erlitten hat, und an Jesus in der Eucharistie, den Maria der Welt als Weg der Erlösung und des Friedens gegeben hat. Maria ist Monstranz. Um die Monstranz herum befinden sich Perlen, die die Fülle und den Reichtum der Erde symbolisieren. Jesus in der Eucharistie stellt die große Perle, den unendlichen Schatz dar, den die Christen empfangen haben. Das vom Bildhauer Armando Granja geschaffene Werk vereint viele andere Elemente der panamaischen Kultur.

„Warum weinen sie?“ fragt mein Nachbar, während wir die Übertragung der Vigil verfolgen. Es ist das wirkliche Leben, das bis in die Tiefe des Seins trifft, in den Zeugnissen dieses Paares, das seine Tochter mit Down-Syndrom angenommen hat; in den Zeugnissen von Alfredo, dem jungen Mann, der Armut, Verlassenheit, Gefängnis und Erlösung lebte; in den Zeugnissen der jungen Frau aus dem Heiligen Land, die ihren Glauben beium Weltjugendtag in Krakau entdeckt hat. Es ist die väterliche, nahe Gegenwart des Heiligen Vaters. Es ist die Gegenwart Jesu, real, nah, von jenem Jesus, der nicht nur für die Starken, sondern auch für die Schwachen, die Gefallenen, die Verlassenen, die Kranken in Körper und Seele gekommen ist. Es ist die Marianische, das in jeder Schwingung dieser Nacht zu spüren ist, in der alle Augen auf die Monstranz gerichtet sind, auf Maria, die Jesus trägt, die Jesus zeigt.

Lucas Galhardo, Brasilien

 

Die Welt ist nicht nur für die Starken

Es ist nicht der zentrale Satz der Predigt des Papstes, mit seinem genialen Ausdruck von Maria als „Influencerin“ Gottes. Aber es ist der Satz, den bei mir hängen geblieben ist. Ein Satz, der sowohl für die großen politischen Fragen der Migration als auch für die Behandlung des langsamen Kollegen gilt. Es wird immer arme Menschen geben, es wird immer schwache Menschen geben, es wird immer Menschen geben, die mit nur 1% der Möglichkeiten geboren werden, die andere haben, es wird immer Menschen geben, die von einem Moment auf den anderen ihre körperliche, geistige, kognitive und emotionale Stärke verloren haben.

Die Welt ist nicht für die Starken …

Das Evangelium lehrt uns, dass die Welt nicht besser wäre, wenn es weniger kranke Menschen, weniger schwache Menschen, weniger gebrechliche oder ältere Menschen gäbe, um die man sich kümmern muss, oder wenn es weniger Sünder gäbe, nein, sie wäre nicht besser deshalb. Die Welt wird erst dann besser, wenn es mehr Menschen gibt, welche wie diese Freunde, die zu uns gesprochen haben, die Bereitschaft und den Mut aufbringen, mit der Zukunft schwanger zu gehen und an die verwandelnde Kraft der Liebe Gottes zu glauben.

 

Vigilia Campo San Juan Pablo ll

 

Ansprache des Heiligen Vaters bei der Vigil

Liebe junge Freunde, guten Abend!

Wir haben gerade diese schöne Darbietung zum Baum des Lebens gesehen, die uns zeigt, wie das Leben, das Jesus uns schenkt, eine Geschichte der Liebe ist, eine Geschichte des Lebens, die sich mit unserer eigenen Geschichte vermischen und im Erdreich eines jeden Wurzeln schlagen will. Jenes Leben ist weder ein Rettungsprogramm, das „in der Cloud“ hängt und darauf wartet, heruntergeladen zu werden, noch ist es eine neue „App“, die man entdecken müsste, oder eine mentale Übung im Sinne einer Technik zum persönlichen Wachstum. Das Leben, das Gott uns anbietet, ist auch kein Tutorial, mit dem man etwas über die letzten Neuheiten erfahren kann. Die Rettung, die Gott uns schenkt, ist eine Einladung zur Teilnahme an einer Liebesgeschichte, die sich mit unseren Geschichten verknüpft; sie lebt fort und will mitten unter uns geboren werden, damit wir dort, wo wir sind, wie wir sind und mit wem wir sind, fruchtbringen können. Dorthin kommt der Herr, um zu pflanzen und sich selbst einzupflanzen; er ist der Erste, der „Ja“ zu unserem Leben sagt, er ist immer der Erste. Er ist der Erste, der „Ja“ zu unserer Geschichte sagt, und er wünscht, dass auch wir zusammen mit ihm „Ja“ sagen. Er geht uns immer voraus, er ist der Erste.

Und so überraschte er Maria und lud sie ein, Teil dieser Liebesgeschichte zu sein. Die junge Frau aus Nazareth tauchte zweifellos nicht in den „sozialen Netzwerken“ der damaligen Zeit auf, sie war keine Influencerin, aber ohne es zu wollen oder danach zu streben, wurde sie die Frau mit dem größten Einfluss aller Zeiten.

Und wir können von ihr mit kindlichen Vertrauen sagen: Maria, die „Influencerin“ Gottes. Mit wenigen Worten hatte sie den Mut, „Ja“ zu sagen und auf die Liebe, auf die Verheißungen Gottes zu vertrauen, die einzige Kraft, die in der Lage ist, alles zu erneuern, neu zu machen. Und wir alle haben heute etwas, das in unserem Inneren neu gemacht werden muss. Wir müssen heute zulassen, dass Gott etwas in unserem Herzen neu macht. Denken wir ein wenig darüber nach: Was will ich, dass Gott es in meinem Herzen neu macht?

Noch immer beeindruckt die Kraft des „Ja“ der jungen Maria. Die Kraft jenes „Mir geschehe“, das sie zu dem Engel sagte. Dies war keine passive oder resignierte Einwilligung. Es war etwas Anderes als ein „Ja“, im Sinne eines „Gut, schauen wir mal, was passiert“. Maria kannte diesen Ausdruck nicht: „Schauen wir mal, was passiert.“ Sie war entschlossen, sie hat verstanden, worum es ging, und sagte „Ja“, ohne Umschweife. Es war mehr, es war etwas Anderes. Es war das „Ja“ eines Menschen, der sich einbringen und Risiken eingehen will und alles auf eine Karte setzen will, mit keiner anderen Garantie als der Gewissheit, Trägerin einer Verheißung zu sein. Und ich frage einen jeden von euch: Fühlt ihr euch als Träger einer Verheißung? Welche Verheißung trage ich im Herzen, für die ich mich einsetzen muss? Maria würde zweifelsohne eine schwierige Mission haben, aber die Schwierigkeiten waren kein Grund, „Nein“ zu sagen. Es war klar, dass es Komplikationen geben würde, aber es wären nicht dieselben Komplikationen gewesen, die auftreten, wenn die Feigheit uns lähmt, weil wir nicht im Voraus schon alles geklärt oder abgesichert haben. Maria hat keine Lebensversicherung abgeschlossen! Maria ging das Risiko ein und deswegen war sie stark, deswegen ist sie eine Influencerin, ist sie die Influencerin Gottes! Das „Ja“ und der Wunsch zu dienen waren stärker als die Zweifel und Schwierigkeiten.

Heute Abend hören wir auch, wie das „Ja“ Mariens von Generation zu Generation widerhallt und sich vervielfältigt. Viele junge Menschen, die dem Beispiel Mariens folgen, riskieren etwas und setzen auf etwas, weil sie einer Verheißung folgen. Danke, Erika und Rogelio, für das Zeugnis, das ihr uns gegeben habt. Diese beiden waren mutig! Sie verdienen einen Applaus. Danke! Ihr habt uns von euren Ängsten, von den Schwierigkeiten, von all den Risiken erzählt, die ihr vor der Geburt von Ines erlebt habt. An einem gewissen Punkt habt ihr gesagt: „Es verlangt uns Eltern aus verschiedenen Gründen viel ab, ein Kind anzunehmen, das krank oder behindert auf die Welt kommen wird“, das ist klar, das ist verständlich. Aber das Erstaunliche war, als ihr hinzugefügt habt: „Als unsere Tochter geboren wurde, haben wir beschlossen, sie von ganzem Herzen zu lieben“. Vor ihrer Geburt und angesichts all der schlechten Nachrichten und Schwierigkeiten, die auftauchten, habt ihr eine Entscheidung getroffen und wie Maria gesagt: „Uns geschehe …“ Ihr habt beschlossen, sie zu lieben. Angesichts des schwachen, hilflosen und bedürftigen Lebens eurer Tochter war eure Antwort – Erika und Rogelio –: „Ja“, und so haben wir Ines. Ihr hattet den Mut, daran zu glauben, dass die Welt nicht nur für die Starken ist! Danke!

„Ja“ zu sagen zum Herrn bedeutet, den Mut zu haben, das Leben, wie es kommt, mit all seiner Zerbrechlichkeit und Begrenztheit und oft sogar mit all seinen Widersprüchen und Sinnlosigkeiten, mit der gleichen Liebe anzunehmen, mit der Erika und Rogelio zu uns gesprochen haben. Das Leben so annehmen, wie es kommt. Dies bedeutet, unser Land, unsere Familien, unsere Freunde so anzunehmen, wie sie sind, auch mit ihren Schwächen und ihrer Begrenztheit. Das Leben annehmen kann auch bedeuten, all das willkommen zu heißen, was nicht vollkommen ist, was nicht rein oder gefiltert, aber deswegen nicht weniger liebenswert ist. Ist jemand, nur, weil er behindert oder fragil ist, nicht der Liebe würdig? Ich frage euch: Ist ein Behinderter, ein Mensch mit Behinderung, ein fragiler Mensch der Liebe würdig? [Antwort: „Ja!“] Ich höre es nicht gut [lauter: „Ja!“] Ihr habt verstanden. Eine andere Frage, schauen wir, wie ihr antwortet. Ist jemand, nur, weil er ein Fremder ist, weil er Fehler gemacht hat, weil er krank ist oder weil er in einem Gefängnis sitzt, der Liebe würdig? [Antwort: „Ja!“] Und so handelte Jesus: Er nahm sich des Aussätzigen, des Blinden und des Lahmen, des Pharisäers und des Sünders liebevoll an. Er nahm den Verbrecher am Kreuz an und sogar diejenigen, die ihn ans Kreuz lieferten, und verzieh ihnen.

Warum? Weil nur das, was man liebt, gerettet werden kann. Du kannst keine Person retten, keine Situation retten, wenn du sie nicht liebst. Nur das, was man liebt, kann gerettet werden. Wiederholen wir das? [gemeinsam:] Nur was man liebt, kann gerettet werden. Noch einmal! [Die Jugendlichen: „Nur was man liebt, kann gerettet werden.“] Vergesst das nicht. Darum hat Jesus uns gerettet: Weil er uns liebt und nicht anders kann. Wir können ihm was auch immer antun, er jedoch liebt uns und rettet uns. Denn nur was man liebt, kann gerettet werden. Nur was man annimmt, kann verwandelt werden. Die Liebe des Herrn ist größer als all unsere Widersprüche, als all unsere Schwächen und als all unsere Begrenztheiten. Aber gerade mithilfe unserer Widersprüche, Schwächen und Begrenztheiten will er diese Liebesgeschichte schreiben. Er hat den verlorenen Sohn angenommen, er hat Petrus nach seiner Verleugnung angenommen; er nimmt auch uns immer, immer, immer an, wenn wir gefallen sind und hilft uns, aufzustehen und wieder auf die Beine zu kommen. Denn der wirkliche Fall – Achtung! –, der wirkliche Fall, der unser Leben zerstören kann, besteht darin, am Boden liegen zu bleiben und sich nicht helfen zu lassen. Es gibt ein sehr schönes Berglied, das beim Hinaufgehen auf den Berg gesungen wird: „Das ist die Kunst des Aufstiegs: Der Sieg besteht nicht darin, nicht zu stürzen, sondern nicht liegen zu bleiben.“ Nicht liegen bleiben! Die Hand ausstrecken, damit sie dich hochziehen. Nicht liegen bleiben.

Der erste Schritt besteht darin, keine Angst davor zu haben, das Leben so zu nehmen, wie es kommt, nicht Angst davor zu haben, das Leben anzunehmen, wie es ist. Das ist der Baum des Lebens, den wir heute [während der Gebetsvigil] gesehen haben.

Danke, Alfredo, für dein Zeugnis und den Mut, es mit uns allen zu teilen. Ich war sehr beeindruckt, als du gesagt hast: „Ich begann im Bauwesen zu arbeiten, bis das Projekt beendet war. Ohne Arbeitsplatz sahen die Dinge anders aus: ohne Schule, ohne Beschäftigung und ohne Arbeit“. Ich fasse in einem vierfachen „Ohne“ die Faktoren zusammen, die unser Leben entwurzeln und austrocknen: ohne Arbeit, ohne Bildung, ohne Gemeinschaft, ohne Familie. Beziehungsweise ein Leben ohne Wurzeln. Ohne Arbeit, ohne Bildung, ohne Gemeinschaft und ohne Familie: diese vier „Ohne“ töten.

Es ist unmöglich, dass jemand wächst, wenn er keine starken Wurzeln hat, die helfen, gut und fest mit beiden Beinen auf dem Boden zu stehen. Es ist leicht, sich zu verlieren, wenn man keinen Ort hat, wo man feststehen, Halt finden kann. Das ist eine Frage, die wir Erwachsenen uns stellen müssen, die wir hier sind. Ja, eigentlich ist es eine Frage, die ihr uns stellen müsstet, ihr junge Menschen müsstet sie uns Erwachsenen stellen, und wir werden euch darauf antworten müssen: Welche Wurzeln geben wir euch? Welche Grundlagen, auf denen ihr euer Menschsein aufbauen könnt? Es ist eine Frage an uns Erwachsene. Wie leicht ist es, junge Menschen zu kritisieren und die ganze Zeit herumzunörgeln, wenn wir ihnen Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten sowie Gemeinschaftserfahrungen vorenthalten, die Halt geben und Zukunftsträume wecken! Ohne Bildung ist es schwierig, von der Zukunft zu träumen; ohne Arbeit ist es sehr schwierig, von der Zukunft zu träumen; ohne Familie und ohne Gemeinschaft ist es schier unmöglich, von der Zukunft zu träumen. Denn von der Zukunft zu träumen bedeutet, nicht nur eine Antwort auf die Frage „Warum lebe ich?“ zu finden, sondern auch auf die Frage „Für wen lebe ich?“, für wen lohnt es sich zu leben. Und das müssen wir Erwachsene fördern, indem wir euch Arbeit, Bildung, Gemeinschaft und Chancen geben.

Es ist, wie Alfredo sagte: wenn einer in der Luft hängt und ohne Arbeit, Bildung, Gemeinschaft oder Familie dasteht, fühlt er sich am Ende des Tages leer und füllt diese Lücke schließlich mit allem Möglichen aus, mit etwas Schlechtem. Denn mit der Zeit weiß man dann nicht mehr, für wen man leben, kämpfen und lieben soll. Ich frage die Erwachsenen hier und die, die uns zuschauen: Was tust du für die Zukunft, für die Lust auf Zukunft dieser jungen Menschen von heute? Bist du fähig, dafür zu kämpfen, dass sie Möglichkeiten zur Bildung haben, dass sie Arbeit finden, dass sie Familie haben, dass sie Gemeinschaft haben? Jeder von uns Erwachsenen antworte im eigenen Herzen.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einigen Jugendlichen, wo einer von ihnen mich fragte: „Warum fragen sich heute so wenige junge Menschen, ob es Gott gibt oder warum fällt es ihnen so schwer, an ihn zu glauben und sich im Leben für etwas einzusetzen?“ Ich antwortete: „Und ihr, was denkt ihr?“ Unter den Antworten, die aus dem Gespräch heraus entstanden, erinnere ich mich an eine, die mein Herz berührte und die mit der Erfahrung zusammenhängt, von der Alfredo sprach: „Padre, weil viele von ihnen das Gefühl haben, dass sie nach und nach für die anderen aufgehört haben zu existieren, oft fühlen sie sich wie unsichtbar“. Viele junge Menschen haben das Gefühl, dass sie für die anderen aufgehört haben zu existieren: für die Familie, für die Gesellschaft, für die Gemeinschaft …, und so fühlen sie sich oft unsichtbar. Das ist die Kultur der Verlassenheit und mangelnder Achtsamkeit. Ich sage nicht alle, aber viele haben das Gefühl, dass sie nicht viel oder nichts zu geben haben, weil sie keinen realen Ort haben, wo sie erleben, dass sie gefragt sind. Wie sollen sie da denken, dass Gott existiert, wenn sie selbst, diese jungen Menschen, für ihre Brüder und Schwestern und für die Gesellschaft schon längst nicht mehr existieren? So bringen wir sie dazu, nicht an die Zukunft zu denken und zu Opfern von Drogen oder anderen zerstörerischen Dingen zu werden. Wir können uns fragen: Wie gehe ich mit den Jugendlichen um, die ich sehe? Kritisiere ich sie oder interessieren sie mich nicht? Helfe ich ihnen oder interessieren sie mich nicht? Stimmt es, dass sie für mich schon lange aufgehört haben zu existieren?

Wir wissen genau, dass es nicht ausreicht, den ganzen Tag online zu sein, um sich anerkannt und geliebt zu fühlen. Beachtung zu erfahren und zu etwas eingeladen zu sein, ist mehr wert als „im Netz“ zu sein. Es bedeutet, Orte zu finden, in denen ihr euch mit euren Händen, eurem Herzen und eurem Kopf als Teil einer größeren Gemeinschaft fühlen könnt, die euch braucht und die auch ihr Jugendliche braucht.

Dies haben die Heiligen gut verstanden. Ich denke zum Beispiel an Don Bosco [Applaus], der nicht sonst wohin gegangen ist, um die Jugendlichen an einem fernen oder speziellen Ort zu suchen – Man sieht, dass welche da sind, die Don Bosco gerne haben, ein Applaus! Don Bosco zog nicht los, um die jungen Menschen an einem fernen oder speziellen Ort zu suchen; er lernte einfach nur, alles, was in der Stadt geschah, zu sehen, mit den Augen Gottes anzuschauen, und so kam er zu den Hunderten von verlassenen Kindern und Jugendlichen ohne Schule, ohne Arbeit und ohne die freundliche Hand einer Gemeinschaft. Viele Menschen lebten in derselben Stadt, und viele kritisierten diese jungen Menschen, aber sie waren nicht fähig, sie mit den Augen Gottes betrachten. Die Jugendlichen muss man mit den Augen Gottes anschauen. Er tat dies, Don Bosco, er wusste, wie man den ersten Schritt macht: das Leben so anzunehmen, wie es einem begegnet; und von daher hatte er keine Angst, den zweiten Schritt zu tun: mit ihnen eine Gemeinschaft zu gründen, eine Familie, in der sie sich bei Arbeit und Studium geliebt fühlen konnten. Ihnen Wurzeln geben, mit denen sie Halt finden, damit sie den Himmel erreichen können; damit sie jemand sind in der Gesellschaft. Ihnen Wurzeln geben, mit denen sie Halt finden, damit nicht der erste Windstoß sie umwirft. Dies hat Don Bosco getan, dies haben die Heiligen getan, das tun die Gemeinschaften, die es verstehen, die jungen Menschen mit den Augen Gottes zu sehen. Wollt ihr Erwachsenen die Jugendlichen mit den Augen Gottes sehen?

Ich denke an viele Orte in unserem Lateinamerika, wo Einrichtungen gefördert werden, die Große Familie – Haus Christi [Familia grande hogar de Cristo] heißen, und die im gleichen Geist wie andere ähnliche Zentren versuchen, das Leben so anzunehmen, wie es in seiner Gesamtheit und Komplexität vorkommt, weil sie wissen, dass »für den Baum noch Hoffnung besteht: Ist er gefällt, so treibt er wieder, sein Sprössling bleibt nicht aus« (vgl. Ijob 14,7).

Und immer kann man „neu austreiben und sprießen“, immer kann man neu beginnen, wenn es eine Gemeinschaft gibt, die Nestwärme eines Hauses, wo man Wurzeln schlagen kann, wo das notwendige Vertrauen besteht und das Herz darauf vorbereitet wird, einen neuen Horizont zu entdecken: den Horizont eines Sohnes und einer Tochter, die erfahren, dass sie geliebt, gesucht und gefunden sind, dass sie für eine Mission bestimmt sind. Der Herr macht sich durch konkrete Gesichter gegenwärtig. Zu dieser Liebesgeschichte wie Maria „Ja“ zu sagen bedeutet auch zu bejahen, dass wir Werkzeuge sind, um in unserer Umgebung kirchliche Gemeinschaften aufzubauen, die in der Lage sind, durch die Straßen der Stadt zu ziehen, die Anderen anzunehmen und neue Beziehungen zu knüpfen. Ein „Influencer“ des 21. Jahrhunderts zu sein bedeutet, ein Hüter unserer Wurzeln zu sein, Hüter all dessen, was verhindert, dass unser Leben „gasförmig“ wird, dass unser Leben im Nichts verdunstet. Ihr Erwachsenen, seid Hüter all dessen, was es uns erlaubt, uns als Teil voneinander zu fühlen, Hüter all dessen, was uns erfahren lässt, dass wir zueinander gehören.

So hat Nirmeen das auf dem Weltjugendtag in Krakau erlebt. Sie begegnete einer lebendigen, freudigen Gemeinschaft, die auf sie zuging, ihr ein Gefühl der Zugehörigkeit und damit auch der Identität gab und ihr erlaubte, die Freude zu leben, die die Begegnung mit Jesus vermittelt. Nirmeen mied Jesus, sie hat ihn gemieden, hielt ihn auf Distanz, bis jemand sie dazu brachte, Wurzeln zu schlagen, und ihr eine Zugehörigkeit gab, und diese Gemeinschaft gab ihr den Mut, diesen Weg zu beginnen, von dem sie uns erzählt hat.

Ein lateinamerikanischer Heiliger fragte sich einmal: »Dient der Fortschritt der Gesellschaft einzig dazu, dass man sich das neueste Automodell oder die neueste auf dem Markt befindliche Technologie erwerben kann? Besteht darin die ganze Größe des Menschen? Gibt es nichts Größeres, als dafür zu leben?« (Alberto Hurtado, Meditación de Semana Santa para jóvenes, 1946). Ich frage euch, euch Jugendliche: Wollt ihr diese Art von Größe? Oder nicht? Seid ihr unsicher … Hier hört man nicht gut, was ist los? … [„Nein!“] Größe besteht nicht darin, das neueste Automodell zu besitzen oder die neueste Technologie zu erwerben. Ihr seid für etwas Größeres geschaffen! Maria hat das verstanden und so sagte sie: „Mir geschehe!“ Erika und Rogelio haben das verstanden und sagten: „Uns geschehe!“ Alfredo hat das verstanden und sagte: „Mir geschehe!“ Nirmeen hat das verstanden und sagte: „Mir geschehe!“ Wir haben sie hier gehört. Liebe Freunde, ich frage euch: Seid ihr bereit, „ja“ zu sagen? [„Ja!“] Jetzt antwortet ihr, so gefällt es mir besser! Das Evangelium lehrt uns, dass die Welt nicht besser wäre, wenn es weniger kranke Menschen, weniger schwache Menschen, weniger gebrechliche oder ältere Menschen gäbe, um die man sich kümmern muss, oder wenn es weniger Sünder gäbe, nein, sie wäre nicht besser deshalb. Die Welt wird erst dann besser, wenn es mehr Menschen gibt, welche wie diese Freunde, die zu uns gesprochen haben, die Bereitschaft und den Mut aufbringen, mit der Zukunft schwanger zu gehen und an die verwandelnde Kraft der Liebe Gottes zu glauben. Euch, junge Leute, frage ich: Wollt ihr „Influencer“ nach der Art Marias sein? [„Ja!“] Sie hatte den Mut, „Mir geschehe“ zu sagen. Nur die Liebe macht uns menschlicher, nicht die Streitereien, nicht allein das Studium: nur die Liebe macht uns menschlicher und erfüllter, alles andere sind wohlschmeckende, aber leere Placebos.

Bald werden wir Jesus begegnen, Jesus, der in der Eucharistie fortlebt. Ihr werdet ihm sicher vieles zu sagen und viel von den verschiedenen Situationen eures Lebens, eurer Familien und eurer Länder zu erzählen haben.

Wenn ihr so von Angesicht zu Angesicht vor Jesus steht, dann habt Mut und keine Angst, ihm euer Herz zu öffnen, damit er das Feuer seiner Liebe in euch erneuere, damit er euch ermutige, das Leben mit all seiner Schwäche, mit all seiner Begrenztheit, aber auch mit all seiner Größe und Schönheit anzunehmen. Jesus helfe euch zu entdecken, wie schön es ist, lebendig und wach zu sein. Lebendig und wach.

Scheut euch nicht, Jesus zu sagen, dass auch ihr an seiner Liebesgeschichte in der Welt teilnehmen wollt, dass ihr „mehr“ wollt!

Liebe Freunde, ich bitte euch, seid so gut, betet in diesem persönlichen Gespräch mit Jesus auch für mich, damit auch ich keine Angst habe, das Leben anzunehmen, dass auch ich in der Lage bin, die Wurzeln zu bewahren, und wie Maria sage: „Mir geschehe, wie du es gesagt hast!“.

 

Fotos: Padre Aldemar Ramirez, Shamely Ballesteros, Osvaldo Montenegro, Mariana Aguilar, Cristian Urriola /Panama2019 – Centro de Prensa

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