Veröffentlicht am 2016-05-13 In Franziskus - Botschaft

Auch jene, die glauben, gerecht zu sein, brauchen die Barmherzigkeit

Papst Franziskus in Rom – Heiliges Jahr der Barmherzigkeit •

“Ich erinnere mich an eine Situation, in der wir wirklich sehen konnten, dass es oft notwendig ist, uns zu öffnen für die Gnade und den göttlichen Sinn von Vergebung und Barmherzigkeit“, sagten Stella und Victor Domínguez kürzlich in einem Vortrag für die pastoralen Mitarbeiter der Erzdiözese Asunción. „In der Anfangszeit der Pastoral der Hoffnung kam jemand zu uns und sagte, es komme ihr einfach nur ungerecht vor, was wir da vorhätten: Eine Pastoral für die wiederverheirateten Geschiedenen! Warum gebt ihr den Menschen Raum, die ihre sakramentale Einheit gebrochen haben? Wofür wir in der Kirche arbeiten müssten, sei die „Verteidigung der Ehe“, und man müsse dafür kämpfen, dass die Einheit bestehen bleibt. Und die Zeit den Geschiedenen zu widmen, „ist Verschwendung“. Diese Pastoral, sagte derjenige, trage eine widersprüchliche Botschaft: „Es ist wie eine Einladung an die Jugend, dass sie, wenn sie sich nicht wohl fühlen in ihrer Ehe, sich scheiden lassen und einen neuen Partner suchen können, der sie glücklicher macht, und dann sagen wir ihnen: ‚Kommt hier her, wo es einen Platz für alle gibt.’“

Unsere menschliche Denkweise ist so wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn. Es ist die gleiche rationalistische Beschwerde, die aus dem Herzen des älteren Sohnes kommt, als er sich dem Haus nähert, Musik hört und versteht, dass es ein Fest gibt, weil sein jüngerer Bruder zurückgekehrt war, und sich deshalb empört und beschwert: „So viele Jahre schon diene ich dir, und nie habe ich gegen deinen Willen gehandelt; mir aber hast du nie auch nur einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden ein Fest feiern konnte. Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet und feierst ein Fest.“ Es ist die gleiche Empörung wie bei jener Person, die sich bei uns beschwert hatte. Warum widmen wir uns den wiederverheirateten Geschiedenen?“

Warum den Gefangenen, warum den Drogensüchtigen, warum den Alkoholkranken, warum den Obdachlosen, warum den Gescheiterten, Gefallenen, den Sündern? Warum?

In der Katechese während der Generalaudienz am Mittwoch, den 11. Mai, sprach Papst Franziskus über den „älteren Sohn“ aus dem Gleichnis des barmherzigen Vaters, um zu zeigen, dass wir alle die Barmherzigkeit brauchen und dass es denen, die sich ohne Sünde und Schuld wähnen, manchmal mehr kostet als „diesen Leuten“.

Vollständiger Text der Katechese des Heiligen Vaters am 11. Mai 2016

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Diese Audienz vollzieht sich an zwei Orten: Aufgrund des drohenden Regens befinden sich die Kranken im Saal Pauls VI. und sind über Großbildschirme mit uns verbunden; zwei Orte, aber eine Audienz. Wir begrüßen die Kranken in der Sala Paolo VI. Heute möchten wir das Gleichnis des barmherzigen Vaters betrachten. Es handelt von einem Vater und seinen beiden Söhnen und lässt uns die unendliche Barmherzigkeit Gottes erfahren.

Beginnen wir mit dem Ende, d.h. mit der Herzensfreude des Vaters, der sagt: „Wir wollen essen und fröhlich sein. Denn mein Sohn war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden“ (Lk 15,23-24). Mit diesen Worten unterbrach der Vater den jüngeren Sohn, während dieser seine Schuld bekannte: „Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein…“ (Lk 15,19). Dieser Ausdruck ist für das Herz des Vaters jedoch unerträglich. Er gibt seinem Sohn vielmehr eilends die Zeichen seiner Würde zurück: das schöne Kleid, den Ring, die Schuhe. Jesus spricht von keinem beleidigten oder gekränkten Vater, der zu seinem Sohn beispielsweise sagt: „Dafür wirst du bezahlen“: Nein, der Vater umarmt ihn und wartet in Liebe auf ihn. Dem Vater liegt allein am Herzen, dass dieser Sohn heil und gesund vor ihm steht. Das macht ihn glücklich und er veranstaltet ein Fest. Die Aufnahme des zurückkehrenden Sohnes wird bewegend beschrieben: „Der Vater sah ihn schon von weitem kommen und hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn“ (Lk 15,20). Wie viel Zärtlichkeit; er sah ihn von weitem: Was bedeutet das? Dass der Vater unaufhörlich auf die Terrasse trat, um auf der Straße nach seinem Sohn Ausschau zu halten; jenem Sohn, der so viel angerichtet hatte, auf den der Vater jedoch wartete. Wie schön ist die Zärtlichkeit des Vaters! Die Barmherzigkeit des Vaters ist überquellend, bedingungslos und zeigt sich sogar schon, bevor der Sohn spricht. Natürlich weiß der Sohn, dass er einen Fehler gemacht hat und bekennt sich dazu: „Ich habe mich… versündigt… Mach mich zu einem deiner Tagelöhner“ (Lk 15,18-19). Diese Worte lösen sich vor der Vergebung des Vaters jedoch auf. Die Umarmung und der Kuss seines Vaters lassen ihn begreifen, dass er trotz allem immer als Sohn betrachtet wurde. Diese Lehre Jesu ist wichtig: Unser Kind-Gottes-Sein ist die Frucht der Liebe des väterlichen Herzens; es ist unabhängig von unseren Verdiensten und Handlungen. Daher kann es uns niemand nehmen, nicht einmal der Teufel! Niemand kann uns diese Würde nehmen.

Dieses Wort Jesu ermutigt uns dazu, niemals zu verzweifeln. Ich denke dabei an die Mütter und Väter, die besorgt sind wenn sie sehen, dass ihre Kinder sich entfernen und gefährliche Wege einschlagen. Ich denke an die Pfarrer und Katecheten, die sich manchmal fragen, ob ihre Arbeit vergeblich ist. Ebenso denke ich jedoch auch an Inhaftierte, denen es scheint, als sei ihr Leben als zu Ende; an jene, die falsche Entscheidungen getroffen haben und nicht in die Zukunft schauen können; an all jene, die nach Barmherzigkeit und Vergebung hungern und glauben, sie nicht zu verdienen… In jeder Lebenssituation darf ich nicht vergessen, dass ich nie aufhöre, ein Kind Gottes zu sein, ein Kind eines liebenden Vaters, der meine Rückkehr erwartet. Auch in der schlimmsten Situation meines Lebens wartet Gott auf mich. Er will mich umarmen, Gott wartet auf mich.

Das Gleichnis erzählt von einem weiteren Sohn, dem älteren; auch er bedarf der Entdeckung der Barmherzigkeit des Vaters. Er ist immer zuhause geblieben, ist jedoch so anders als der Vater! Seine Worte enthalten keine Zärtlichkeit: „So viele Jahre schon diene ich dir, und nie habe ich gegen deinen Willen gehandelt… Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn…“ (Lk 15,29-30). Wir erkennen die Verachtung: Er sagt nie „Vater“ und „Bruder“. Er denkt nur an sich selbst und rühmt sich, stets an der Seite seines Vaters geblieben zu sein und ihm gedient zu haben; dennoch hat er diese Nähe nie mit Freude gelebt. Und nun beschuldigt er den Vater, ihm nie einen Ziegenbock für die Feier eines Festes gegeben zu haben. Armer Vater! Ein Sohn ist gegangen und der andere ist ihm nie wirklich nahe gewesen! Das Leiden des Vaters ist wie das Leiden Gottes, das Leiden Jesu, wenn wir uns entfernen oder weit weg gehen oder weil wir nahe sind ohne Nähe zu erweisen.

Auch der ältere Sohn bedarf der Barmherzigkeit. Die Gerechten, jene, die sich für gerecht halten, bedürfen ebenso der Barmherzigkeit. Dieser Sohn steht für uns, wenn wir uns fragen, ob es sich viel Mühe lohnt, wenn wir dafür dann keine Gegenleistung bekommen. Jesus erinnert uns daran, dass man nicht im Haus des Vaters bleibt, um dafür belohnt zu werden, sondern aufgrund der Würde mitverantwortlicher Kinder. Es geht nicht darum, mit Gott ein „Tauschgeschäft“ einzugehen, sondern um die Nachfolge Jesu, der sich selbst am Kreuz voll und ganz geschenkt hat.

„Mein Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist auch dein. Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern“ (Lk 15,31-32). Diese Worte richtet der Vater an den älteren Sohn. Seine Logik ist jene der Barmherzigkeit! Der jüngere Sohn glaubte, aufgrund seiner Sünden eine Strafe verdient zu haben. Der ältere Sohn erwartete sich eine Belohnung für seine Dienste. Die beiden Brüder sprechen nicht miteinander. Ihr Leben ist unterschiedlich. Das Denken beider folgt jedoch einer Jesus fernen Logik: Wenn du Gutes tust, bekommst du einen Preis; wenn du Böses tust, wirst du bestraft; das ist nicht die Logik Jesu, das ist sie nicht! Diese Logik wird von den Worten des Vaters umgekehrt: „Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden“ (Lk 15,31). Der Vater hat den verlorenen Sohn zurückbekommen. Und nun kann er ihn auch seinem Bruder zurückgeben! Ohne den jüngeren ist auch der ältere Sohn kein „Bruder“ mehr. Die größte Freude des Vaters besteht darin zu sehen, dass seine Söhne sich als Brüder anerkennen.

Die Söhne können entscheiden, ob sie sich mit der Freude des Vaters vereinen oder sie ablehnen wollen. Sie müssen sich nach ihren Wünschen fragen und nach ihrer Vision des Lebens. Das Gleichnis endet offen: Wir erfahren nicht, wofür sich der ältere Sohn entschieden hat. Das liefert uns eine Anregung. Dieses Evangelium lehrt uns, dass wir alle den Eintritt in das Haus des Vaters und die Teilnahme an seiner Freude, an seinem Fest der Barmherzigkeit und Brüderlichkeit, nötig haben. Brüder und Schwestern, öffnen wir unser Herz, um „barmherzig wie der Vater“ zu sein!

 

Übersetzung der Katechese aus dem Italienischen von Sarah Fleissner/ZENIT. Gesamtkoordination: Norbert Jehle, Memhölz, Deutschland

 

 

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