Veröffentlicht am 2018-10-21 In Kirche - Franziskus - Bewegungen, Missbrauch

Schmerz, Scham und Verpflichtung

Sexueller Missbrauch – und was nun?, P. Pedro Kühlcke •

Das heutige Evangelium  zeigt uns einen ungeheuren Kontrast. Auf der einen Seite stehen die Jünger, die alles aufgegeben haben, um Jesus nachzufolgen. Auf der anderen Seite steht der namenlose „Reiche“: Er zog seine materiellen Güter der Nachfolge Jesu vor – und blieb allein mit seiner Traurigkeit.

Einen ähnlichen, vielleicht sogar noch stärkeren Kontrast erleben wir in diesen Tagen: Heute hat Papst Franziskus sieben Personen heiliggesprochen, leuchtende Beispiele der Heiligkeit in verschiedenen Lebenswegen [2] Unter ihnen Bischof Oscar Romero: ein Bischof, der alles hinter sich gelassen hat, um Jesus zu folgen und den Ärmsten zu dienen, bis zur Hingabe seines eigenen Lebens.

Andererseits musste Papst Franziskus vorgestern den Ausschluss aus dem Kleirkerstand von zwei chilenischen Bischöfe verfügen – die stärkste Strafe für für einen Geistlichen -, und dies wegen sexuellem Missbrauch von Minderjährigen. Einer von ihnen, Francisco José Cox, ist aus meiner Gemeinschaft, und es erfüllt mich mit Traurigkeit, Schmerz und Scham. Traurigkeit und Schmerz beim Gedanken an die Opfer – wie viel mussten und müssen sie leiden? Wie viel Zeit ist vergangen, bis Gerechtigkeit getan wurde, wenn man das überhaupt so nennen kann? Scham beim Gedenken an den Täter, einen Bischof: Lieber ist er seinen irregleiteten Trieben gefolgt und hat immensen Schaden angerichtet, statt Jesus Christus zu folgen. Sollten dabei nicht wir, Menschen des geweihten Lebens, mit all unseren Grenzen und Sünden Beispiel radikaler Christusnachfolge sein?

Pater Juan Pablo Catoggio, unser Generaloberer, hat gestern einen Brief an die gesamte Schönstattfamilie geschrieben, in dem er sagt:

„Liebe Schönstattfamilie,

Heute hat der Vatikan bekannt gegeben, dass unser Heiliger Vater, Papst Franziskus, für Francisco José Cox, ehemaliger Erzbischof von La Serena, die Entlassung aus dem Klerikerstand angeordnet hat.   Die Vorwürfe des sexuellen Missbrauches an Minderjährigen, die in den letzten Monaten vorgebracht worden waren, wurden durch die Glaubenskongregation untersucht und führten zu dieser Sanktion. 

Diese Nachricht nehmen wir mit großer Scham auf wegen der Verletzungen, die den Opfern zugefügt wurden.  Wir sind solidarisch mit ihnen und ihrem tiefen Leiden.  Heute bedauern wir mehr denn je jede Form von Missbrauch, der die Würde der Menschen verletzt.

Wir unterstützen uneingeschränkt diese Entscheidung in Gerechtigkeit und Wahrheit zum Wohl der ganzen Kirche. Wir bekräftigen unsere feste Bereitschaft, mit der Justiz in allem was zweckdienlich ist zusammenzuarbeiten …

Die Wahrheit tut uns weh, aber sie befreit uns.  Der Weg der Wahrheit und Demut führt uns zu einer tiefen Bekehrung und zu einem erneuerten Leben in unserem Liebesbündnis.  Wir wollen für die Opfer und für all jene beten, die dadurch auf irgendeine Weise leiden.“

Im Jahr 2010 hatte ich schon im Santuario Joven en Asunción über genau dieses Thema gepredigt [3] und damals gesagt, dass es wichtig sei, uns mit dem Thema von Priestern, die Minderjährige sexuell missbrauchen und allem, was dazu gehört, zu beschäftigen.

An erster Stelle dürfen wir nicht unterlassen zu erklären, dass jeder, der einen Minderjährigen sexuell missbraucht, eine sehr schwere Sünde begeht. Das sechste Gebot spricht deutlich von der guten und schlechten Verwendung unserer Sexualität; aber dieser Fall ist gravierender als andere, da es sich um Minderjährige handelt, wehrlose Menschen, die oft nicht einmal die Chance haben, etwas darüber zu sagen. Es handelt sich um eine sehr schwere Sünde in den Augen Gottes, und es ist ein Verbrechen, das der bürgerlichen Justiz überstellt werden muss, ohne Vertuschungen und Entschuldigungen [4]. Es erfüllt uns Katholiken alle mit tiefem Schmerz, großer Scham und auch viel Enttäuschung, besonders, da es um Verbrechen geht, die von Priestern und Ordensleuten verübt wurden.

Papst Franziskus ist klar und radikal in seinem Kampf gegen diese schreckliche Geißel, die unsere ganze Kirche beschmutzt und besonders die Geweihten – so wie wir es mit diesen Entlassungen aus dem Klerikerstand sehen. Gestern haben wir gelesen, wie er spanische Jugendliche, die wegen der Synode in Rom sind, um Vergebung bat:

„An erster Stelle möchte ich mich für die Skandale in der Kirche entschuldigen, nicht nur für die Skandale der Missbräuche, die Skandale der Weltlichkeit, für das Anhängen an Werten, die nicht dem Evangelium entsprechen, für die Inkohärenz des Lebens. Ihr seht das und sagt, ich werde Atheist… Vergebt, das wir euch zum Ärgernis werden. Ich spüre den Schmerz und denke an die Fehler von uns Hirten. Trennt euch nicht von Jesus Christus, der einzigen Quelle des Glücks.“[5]

Schon Papst Benedikt XVI. hat im Jahr 2010 einen Brief an die irischen Katholiken zu diesem Thema geschrieben. Es ist ein sehr klarer und aufrichtiger Brief. Der Papst benutzt sehr starke Ausdrücke, wenn er direkt die Priester und Ordensleute anspricht, die Kinder missbraucht haben:

Ihr habt das Vertrauen, das von unschuldigen jungen Menschen und ihren Familien in Euch gesetzt wurde, mißbraucht,  und Ihr müßt Euch vor dem allmächtigen Gott und vor den zuständigen Gerichten dafür verantworten. Ihr habt die Achtung der Menschen Irlands verspielt und Schande und Unehre auf Eure Mitbrüder gebracht.  Ich mahne Euch, Euer Gewissen zu erforschen, Verantwortung für die begangenen Sünden zu übernehmen und demütig Euer Bedauern auszudrücken.  Zugleich ruft uns Gottes Gerechtigkeit dazu auf, Rechenschaft über unsere Taten abzulegen und nichts zu verheimlichen.“[6]

Persönlich und im Namen meiner Gemeinschaft möchte ich demütig um Vergebung bitten für unseren Mangel an authentischem Zeugnis, und ich möchte besonders alle Opfer, die in irgendeiner Form durch Schuld von Mitgliedern meiner Gemeinschaft schweren Schaden erlitten haben, um Vergebung bitten.

Auch verpflichte ich mich persönlich und als Oberer der Schönstatt-Patres in Paraguay, dass ich selbst und meine Gemeinschaft alles tun werden, damit die Räume, in denen wir arbeiten – seien es die Jugendgliederungen der Bewegung, unsere sozialen Projekten oder was auch immer – sichere und geschützte Räume sind, in denen alle, vor allem die Minderjährigen und Scbhutzbedürftigen, in ihrer Würde und ihren Rechten geachtet werden. Wir setzen das „Protokoll der Verhinderung des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen“ der paraguayischen Bischofskonferenz um [7] und wollen dazu beitragen, das verursachte Leid zu mindern.

Angesichts all dessen die Frage: Welche Haltungen könnten wie annehmen? Ich möchte Ihnen einige vorschlagen.

Vor allem möchte ich Sie bitten, gegenüber uns Priestern kritischer zu sein, den Mut zu haben,uns anzusprechen und uns zu sagen, wenn Ihnen etwas nicht richtig erscheint. Hier in Paraguay ist die Kultur des „pa’íma he’i“ [8] immer noch tief verwurzelt – der Priester wird nicht kritisiert, mit ihm wird nicht diskutiert. Pater Pater Kentenich, der Gründer von Schönstatt, hat uns mit seinem Lebenszeugnis den Wert einer authentischen konstruktiven Kritik gelehrt: ehrlich und aufrichtig, respektvoll, immer ins Angesicht und nie hinterrücks. Bitte haben Sie den Mut, uns die Dinge offen zu sagen. Wie werden wir das annehmen? Manche gut, andere nicht ganz so gut. Und wenn sie wirklich nicht auf Sie hören, dann – wenn die Sache es erfordert – sprechen Sie mit dem entsprechenden Vorgesetzten, mit dem Bischof. Halten Sie nicht den Mund, wenn es um ernste Angelegenheiten geht! Helfen Sie uns, uns jeden Tag zu bekehren und in der Nachfolge Christi zu wachsen.

Andererseits möchte ich Sie auch um viel Gebet und Solidarität bitten. Keine Berufung ist leicht, wenn es darum geht, sie authentisch zu leben, weder die eheliche, noch die geweihte, noch die priesterliche. Wir Priester sind in einer besonders exponierten Stellung, wir  haben eine besondere Verantwortung, Christus gegenwärtig zu setzen, und sind doch einfach menschliche Wesen mit der Last der Erbsünde und persönlicher Grenzen. Daher brauchen wir viel Gebet, viel Nähe, und dies besonders diejenigen Priester, die allein auf weiter Flur stehen. Und wer in diesem Moment am meisten unser Gebet braucht, ist unser Papst Franziskus: er selbst hat uns gebeten, während des ganzen Monats Oktober täglich für die Kirche einen Rosenkranz zu beten. Vielleicht bringt uns diese Situation dazu, ernsthafter und um reiche und vor allem um heilige Priesterberufungen zu beten.

Im Blick auf Kinder und Jugendliche denke ich, ist es sehr wichtig, dass wie jede andere Erziehung auch die Sexualerziehung vom eigenen Haus, von den eigenen Eltern ausgehen sollte. Überlassen Sie diese so entscheidenden Themen nicht der Schule, dem Internet und der Straße! Scham oder Tabu sind die schlimmsten Ratgeber. Väter und Mütter, sprechen Sie mit Ihren Kindern über diese Themen, bevor sie von außen darauf gestoßen werden;  lehrt sie, sich zu verteidigen und regt sie zum Reden an! Wenn ein Mädchen oder ein Junge zu seiner Mama oder seinem Papa kommt und sagt: „„Bei dem da fühle ich mich unwohl, der ist komisch“, , dann sagt nicht: „Red keinen Quatsch!“, weil es möglicherweise etwas Ernstes ist. Denkt daran, dass die Mehrzahl der Fälle von Kindesmissbrauch in der häuslichen Umgebung geschieht.

Im Blick auf unseren Glauben und unsere Kirche fragen wir uns vielleicht: „Warum weiter glauben, warum weiter in einer so sündhaften Kirche bleiben?“ Denken wir daran, dass schon unter den 12 Aposteln ein Judas war, der Jesus verraten hat. Verräter gab es immer und wird es immer geben, doch die Kirche bleibt immer Zeichen und Gegenwart Christi. In der Kirche gab und gibt es kriminelle, missbrauchende Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien, aber es gab und gibt auch noch viel mehr Heilige als die sieben, heute im Vatikan heilig gesprochen wurden.

Durch die Fürsprache des heiligen Bischofs Oscar Romero, des heiligen Roque González und der seligen Felicia María, Chiquitunga, möge die Kirche in Paraguay und in der ganzen Welt und unsere Schönstatt-Bewegung immer mehr die Radikalität in der Nachfolge Christi der Apostel und Heiligen spiegeln.

 

P. Pedro Kühlcke, Homilie 14/10/2018, Tupãrenda

 
[1] 18. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B, Mk 10, 17-30
[2]    https://www.vaticannews.va/es/vaticano/news/2018-10/papa-francisco-santa-misa-canonizacion-santos.html
[3]Predigt vom 18. April 2010
[4]    Siehe http://www.zenit.org/article-35189?l=spanish
[5]    https://es.aleteia.org/2018/10/13/el-papa-pide-perdon-por-los-escandalos-a-grupo-de-jovenes-espanoles/
[6] Benedikt XVI, Hirtenbrief an die Katholiken Irlands, 19. März 2010; Nr. 7: Für Priester und Ordensleute, die Kinder missbraucht haben. Siehe http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/letters/2010/documents/hf_ben-xvi_let_20100319_church-ireland_sp.html
[7]    http://episcopal.org.py/protocolo/protocolo.pdf
[8]    Ausdruck in Guarani, im Sinne vin; der Priester hat gesprochen, die Diskussion ist vorbei

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