Veröffentlicht am 2016-12-09 In Schönstatt im Herausgehen, Schönstätter

„Wir nehmen einfach unsere Schönstatt-Tagungen und machen es für Familien mit Kindern mit Beeinträchtigungen“

Interview mit Manuela Baumgartner, Preisträgerin des österreichischen „Preises der Orden 2016“, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde, Mitglied der Internationalen Leitung des Schönstatt-Familienbundes •

Fast im Weihnachtstrubel untergegangen, diese Meldung, die doch so weihnachtlich ist. Zum dritten Mal haben die österreichischen Frauen- und Männerorden den „Preis der Ordensgemeinschaften Österreich“ für „engagierte Leistungen an der Schnittstelle zwischen Orden und Gesellschaft“ vergeben. Abtpräses Christian Haidinger, Vorsitzender der Superiorenkonferenz der Männerorden, und Sr. Beatrix Mayrhofer, Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden, zeichneten beim Ordenstag im Wiener Kardinal-König-Haus insgesamt fünf Projekte mit zwei Haupt- und drei Anerkennungspreisen aus. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert und wird seit 2012 alle zwei Jahre neu ausgeschrieben. Unter den Preisträgern eine Fachärztin  für Kinder- und Jugendheilkunde, Leiterin der neuropädiatrischen Ambulanz und Schönstätterin.

An sie ging in der Kategorie Einzelpersonen der Preis der Orden 2016. „Glück schenken“ heißt das Projekt, das Manuela Baumgartner vom Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Linz vor bereits 22 Jahren ins Leben rief, um Familien mit behinderten Kindern zu unterstützen und zu begleiten. Jährlich werden etwa Intensivwochen angeboten, in denen Eltern und Geschwisterkinder in entspannter Atmosphäre Zeit und Raum gegeben wird, sich auszutauschen und einige Tage unbeschwerte Erholung zu genießen. Ein Team aus Ärztinnen und Ärzten, einer Psychologin und Kinderbetreuern steht den Familien dabei rund um die Uhr zur Verfügung. Jedes Jahr arbeiten auch engagierte Jugendliche und junge Erwachsene als Kinderbetreuer und in der Freizeitgestaltung mit.

Das Projekt wird ausschließlich von Ehrenamtlichen getragen und mit Spendengeldern finanziert. Sr. Cordula Greinecker von den Barmherzigen Schwestern Linz würdigte die Initiatorin Manuela Baumgartner als „unermüdliche Botschafterin für Familien“. Die Ärztin setze den Auftrag des Ordens, der Not der Zeit zu begegnen, konkret und praktisch um.

Was treibt Manuela Baumgartner an, ein solches Projekt zu starten und seit 22 Jahren durchzuziehen? Konkret: Was treibt eine Ärztin an, Jahr für Jahr gut 30 Familien mit beeinträchtigten Kindern eine Woche intensiven Urlaubs in Lingano/Italien und seit 2014 auch in Münster zu ermöglichen? Und welche Rolle spielt für Manuela Baumgartner dafür ihr Glaube, und was hat Schönstatt mit all dem zu tun?

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„Und dennoch ist so vieles anders – besser, als es vorher war“

„Natürlich hat uns der Alltag längst wieder fest im Griff. Und dennoch ist so vieles anders – besser, als es vorher war. Immer noch zehren wir von den Erfahrungen und schönen Erlebnissen in Münster. Auch von den Erkenntnissen, die uns geschenkt wurden. Das klappt leider noch nicht immer im Alltag und seinem Trott, aber immer besser in der Zeit zu zweit, die wir uns seit dem erkämpft haben.

Uns hat das gesamte Konzept völlig überzeugt. Die Verbindung von Familienzeit, Zeit zu Zweit und auch die Gruppenrunden. Morgens der „Denkanstoß“ und am Abend dann die Gespräche dazu. Nun gilt es, das Leben weiter zu meistern, möglichst viel und möglichst lange die guten Erinnerungen zu bewahren und hoffentlich im nächsten Jahr wieder dabei zu sein.“

Das könnte ein Beitrag aus einer Ernterunde oder einem Nachklang zu einer Schönstatt-Familientagung kommen. Ist aber ein Beitrag auf der Seite „Glück schenken“ (http://www.glueck-schenken.at/) und von einem Ehepaar, das erstmals an einer der Intensivwochen für Eltern mit behinderten Kindern teilgenommen hat.

„Was wir machen, ist ja gar nicht wirklich ein neues Projekt“, sagt Manuela Baumgartner. Eine Woche für Familien. Nur dass es so etwas für diese konkrete Zielgruppe, nämlich für Familien mit einem behinderten Kind, nicht gibt. Also doch neu. Aber nicht neu erfunden. Denn:  „Eigentlich ist es nichts anderes als eine Schönstattwoche, wie wir sie für ’normale‘ Familien machen.“ Aber das alles dann eben für Familien, die wegen eines behinderten Kindes ganz anders gefordert sind als andere.

Und es ist das:

„Unser Sohn ist jetzt 15 Jahre alt. Die zwei Intensivwochen waren, seit das Kind auf der Welt war, unsere zwei wertvollsten Wochen.“

Das muss man noch mal sagen: Die zwei wertvollsten Wochen in 15 Jahren.

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Es geht um das behinderte Kind in allen seinen personalen Bezügen

„Kinder mit Entwicklungsbeeinträchtigung sind in der Regel therapeutisch und medizinisch gut versorgt. Auf die Eltern und auch auf die Geschwister wird jedoch noch viel zu wenig Augenmerk gelegt. Sie sind es aber, die die wichtigsten Bezugspersonen sind“, so Manuela Baumgartner. „Mit einer Behinderung rechnet man als Eltern nicht. Man wird überrascht und muss sich von vielen Wunschvorstellungen verabschieden. Dieser Prozess ist nie leicht und spielt in alle Beziehungsebenen der Familie, ja sogar der Großfamilie hinein. Das ist schon körperlich eine große Herausforderung“, macht sie deutlich. „Körperbehinderte Kinder werden schwer, das Füttern dauert eineinhalb Stunden pro Mahlzeit, mal vier, das sind dann sechs Stunden am Tag… Dann ist eine starke psychische Belastung: die aktuelle Sorge um das Kind, dazu die Frage: Was ist, wenn ich nicht mehr bin? Und was ist mit den Geschwistern, mit dem Freundeskreis, mit meiner Berufstätigkeit? Das ist einfach eine große Herausforderung.“ Es geht um das behinderte Kind in allen seinen personalen Bezügen. Es geht um die Familie dieses Kindes.

Ein Ehepaar sagt nach einer Intensivwoche mit Dr. Manuela Baumgartner und ihrem Team: „Es tut so gut mit Menschen zu sprechen, zu lachen, sich auszutauschen, die im gleichen Boot sitzen. Die einen verstehen, die verstehen, wie manche Blicke wehtun, obwohl sie wahrscheinlich sehr, sehr oft gar nicht böse gemeint sind. Aber diese Blicke: „Die tun mir leid, Gott sei Dank hat es nicht uns erwischt“ tun einfach weh! Und die Erkenntnis ist schmerzlich – wir sind anders – aber ein Freund aus der Gruppe sagte treffend: Wir sind Rockstars mit unseren Kindern – wir sind anders! Und genauso müssen wir unsere Familien sehen. Wir sind die Elite! Wir stehen zu unseren Kindern und lieben sie aus tiefstem Herzen, genauso wie sie sind.

Ich habe es vorher als großes Handikap gesehen, dass man unserem Sohn seinen Gen-Defekt (Down Syndrom) ansieht, aber seit dieser Woche denke ich anders. Denn die Leute wissen, dieses Kind ist anders. Und rechnen auch damit, dass es vielleicht anders reagiert und agiert als ein ’normales‘ Kind.“

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Ich trage und trage und wer trägt mich?

Eine besondere Herausforderung, so Manuela Baumgartner, ist die Pränataldiagnostik, die es den Eltern extrem schwer mache. „Das ist wahnsinnig, da eine Entscheidung zu treffen. Es gibt da keinen leichten Weg. Sagt man ja zum Kind, dann kommt irgendwann die Frage: Warum habe ich mir das angetan? Sagt man nein zum Kind, muss man ein Leben lang mit dieser Last leben, muss das tragen, und das ist extrem schwer.“

Da tut es gut, mit anderen zusammen zu kommen, die in ähnlicher Situation sind, Anregungen und konkrete Unterstützung zu bekommen, Zeit füreinander… „Und wenn ein Priester dabei ist, ist es noch einmal etwas Besonderes“, sagt Frau Baumgartner. „Und für den Rafael Troxler, der ist Student bei den Schönstatt-Patres, war es auch etwas Besonderes“, fügt sie an.

„Ich bin glücklich, mich auf die Intensivwoche eingelassen zu haben, glücklich, Zeit nur mit meiner Frau verbracht zu haben, glücklich, Situationen aus einer anderen Perspektive gesehen zu haben, glücklich, mit anderen Betroffenen auf der gleichen Wellenlänge gesprochen zu haben…“ Ein Zeugnis von sehr vielen ähnlichen.

Oder: „Auch uns als Eltern hat diese Woche unheimlich gut getan. Wir konnten wie seit langem nicht mehr, einfach mal Rad fahren oder Schwimmen gehen. Einfach mal die Zeit zu zwei genießen.

Auch die Impulse in den Vorträgen und der Austausch mit anderen betroffenen Eltern haben uns für den Alltag sehr geholfen. Mir fällt es nun leichter die Behinderung unseres Sohnes zu akzeptieren.“

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Rafael Troxler beim Schwimmen mit einem behinderten Kind

Warum fotografierst du denn nie die behinderten Kinder?

Eines wundert Manuela Baumgartner: In den Kliniken in Deutschland gibt es fast nichts in den Kliniken an Elternarbeit, doch „für die Intensivwochen in Münster melden sich sehr wenige an, und in Österreich sind wir überlaufen. Für die Woche im August haben wir schon alles ausgebucht, wir könnten drei Wochen machen. Aber hier in Deutschland erzählt vielleicht einfach noch keiner davon, wie gut es tut.“

Als wir das Interview schon beendet haben, geht es noch um die Fotos und da kommt eine Geschichte dazu. So ganz nebenbei sagt Manuela Baumgartner „Mich hat einmal jemand beim Anschauen der Fotos gefragt: Warum fotografierst du denn nie die behinderten Kinder? Und ich habe geantwortet: Das sind die behinderten Kinder.“ Und sie erklärt: „Ich mache nie Fotos, auf denen man die behinderten Kinder in Situationen sieht, die einen erschrecken könnten. Das will ich nicht darstellen. Ich fotografiere strahlende, fröhliche, lachende Kinder. Und auf einmal sehen die Leute auch nicht mehr nur behinderte Kinder, sondern einfach Kinder. Da sieht man einfach glückliche Kinder. Schwierig ist nur, dass ich mich bei den Fotos nie entscheiden kann, denn hinter jedem Foto steckt eine Geschichte.“

Eine Geschichte von einem beeinträchtigten Kind, das in die Kamera lacht. Eine Geschichte von einem Kinderbetreuer, der in einer Woche in Lignano seine Lebensmission gefunden hat. Eine Geschichte von einem Geschwisterkind, das aufblüht. Eine Geschichte von einem Ehepaar, das endlich wieder Zeit für einander gefunden hat…

„Nun ist es schon über eine Woche her, dass wir von der Familienintensivwoche in Lignano zurück sind. Wir sind sehr froh und dankbar, dass wir mitfahren durften“, schreibt jemand.
„Wir danken Ihnen und dem ganzen Team ganz herzlich, für Ihr uneigennütziges Engagement. Mein Mann und ich waren sehr beeindruckt von der umfassenden Kompetenz und der wertschätzenden und demütigen Haltung, mit der sie uns allen begegnet sind. In Demut steckt für mich der Mut zum Dienen. Ich habe es als bewusstes “Sich zur Verfügung Stellen” erlebt, um allen betroffenen Familien zum Aufatmen und neuer Kraft zu verhelfen. Für unsere Beziehung war diese Woche sehr wichtig, da wir füreinander im Alltag fast keine Zeit haben. So fanden wir wieder näher zueinander.“

Und sie fanden ein Kind… (vgl. Lk2,15)

theresa-und-franziskaTermine Intensivwochen 2017

16.7. – 22.7.2017 Lignano (I)

30.7. – 4.8.2017 Münster/Westfalen (D)

Kontakt, Information und eine unbeschreibliche Fülle von solchen „Stimmen“ gibt es auf:

http://www.glueck-schenken.at/

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