Veröffentlicht am 2016-11-11 In Projekte, Werke der Barmherzigkeit

Die Wunder, die hier und im Himmel Freude machen

PARAGUAY, Ani Souberlich •

„Denn es ist eine Sache, was wir für das getane Böse verdienen; eine andere Sache jedoch ist der „Atem“ der Hoffnung, der von nichts und niemanden erstickt werden kann. (…)Unser Herz hofft immer auf das Gute; da sind wir Schuldner der Barmherzigkeit, mit der Gott uns entgegenkommt, ohne uns je zu verlassen (vgl. Augustinus, Sermo 254,1) (…) Wir alle können Fehler machen, alle. Auf die eine oder andere Weise haben wir Fehler gemacht. Die Scheinheiligkeit lässt uns denken, dass eine Änderung des Lebens nicht möglich ist, man hat wenig Vertrauen in die Rehabilitation, in die Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Auf diese Weise aber vergisst man, dass wir alle Sünder sind, und oft sind wir auch Gefangene, ohne dass wir uns dessen bewusst werden.“ Wenn man in seinen Vorurteilen eingeschlossen bleibt oder Sklave der Götzen eines falschen Wohlstands ist, wenn man sich innerhalb ideologischer Schablonen bewegt oder die Gesetze des Marktes verabsolutiert, welche die Menschen erdrücken, dann tut man in Wirklichkeit nichts anderes, als zwischen den engen Wänden der Zelle des Individualismus und der Selbstgenügsamkeit zu stehen und ist der Wahrheit beraubt, die Freiheit hervorbringt. Und mit dem Finger auf jemanden zu zeigen, der etwas falsch gemacht hat, kann kein Alibi dafür werden, um die eigenen Widersprüche zu verbergen“, so Papst Franziskus beim Jubiläum der Gefangenen am Morgen des 6. November im Petersdom vor gut 1000 Häftlingen, die mit der entsprechenden Erlaubnis aus Gefängnissen weltweit gekommen waren. Der Papst benutzte den Bischofsstab aus Holz, den ihm die Häftlinge des mexikanischen Gefängnisses in Ciudad Juárez geschenkt haben.

Im CEI (Centro Educativo de Itauguá, Jugendgefängnis von Itauguá), wenige Kilometer entfernt vom Schönstatt-Heiligtum Tupãrendá, Paraguay, in dem Jugendliche, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind, ihre Strafe verbüßen, wurde an diesem Tag auch das Jubiläum der Barmherzigkeit der Gefangenen begangen. Bischof Joaquín Robledo von San Lorenzo  feierte um 10.00 Uhr morgens dort die Heilige Messe, an der auch P. Pedro Kühlcke, der Gefängnisgeistliche, Mitarbeiter der Gefängnispastoral „Visitación de Maria“ (Maria Heimsuchung) und die Leiterin des Hauses „Madre de Tupãrendá“, Ani Souberlich, teilnahmen. In diesem Haus erhalten derzeit 18 Jugendliche nach Verbüßung ihrer Haftstrafe eine zweite Chance – die in den meisten Fällen die allererste ist.

 

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Was für ein Fest im Himmel!

Nach einer intensiven Vorbereitung durch die Gefängnispastoral in der Verantwortung von P. Pedro Kühlcke und seinem Team empfingen mehrere Jugendliche die Sakramente der Taufe, Erstkommunion und Firmung. In einer sehr bewegenden Feier überschritten fünf Jugendliche die „Pforte zum Leben im Geist“ durch den Empfang des Taufsakramentes; fünf Jugendliche empfingen die Erste Heilige Kommunion und sieben die Firmung. Kann man sich das Fest im Himmel vorstellen? Ein einfacher, aber realer Abglanz dieses Festes und dieser himmlischen Freude war die Feier mit Saft und Kuchen, die alle Anwesenden anschließend begingen.

Ja, „Liebe Strafgefangene, dieser Tag ist eure Jubiläumsfeier!  Möge eure Hoffnung heute vor dem Herrn entflammt sein“ (Papst Franziskus).

 

Sie brauchen ein menschliches Du

Man könnte noch viel erzählen von all dem, was wir heute mit den Jugendlichen erlebt haben: die Freude, dass sie aus eigenem Antrieb um die Vorbereitung auf die Sakramente gebeten hatten; die Kinderseele, die sie bewahrt haben und die man durch das Fenster ihrer Augen sehen kann, trotz der Verbrechen, die sie begangen haben. Das Bedürfnis nach einem „menschlichen Du“, das sie akzeptiert und sie liebt, so wie sie sind. Ich habe sie angeschaut, es sind Jungs zwischen 15 und 18 Jahren. Es sind ganz normale Heranwachsende in voller Rebellion, vollem „Dagegen – um was geht es?“, wie jeder Jugendliche unserer Gesellschaft in diesem Alter. Heute sind sie hier, weil sie irgendeinen Fehler gemacht haben, manche kleine, andere größere … Aber alle verdienen und wollen im Leben eine Chance, und ich glaube, in diesem Jahr der Barmherzigkeit erhalten wir alle die Chance, die einzig und allein aus der unendlichen Liebe kommen, die der gute Gott zu uns hat.

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Die Umarmung der Mutter

Alles war sehr berührend, doch es gab einen unbeschreiblich großartigen Moment, der mein Herz und meine Seele aufgewühlt hat. Beim Friedensgruß umarmte eine Mutter ihren inhaftierten Sohn und brach in Tränen aus, in ein lautloses Weinen, das ihr Mutterherz zerriss… Ich dachte an die Begegnung der Gottesmutter mit Jesus auf dem Kreuzweg, mit ihrem vom Schmerz durchbohrten Herzen. Die feste und zärtliche Umarmung dieser Frau sagte ihrem Sohn: Ich bin bei dir, ich helfe dir, ich liebe dich, du bist mein Kind, ich verlasse dich nicht.“ So barmherzig stelle ich mir Gottes Umarmung vor, eine Umarmung, die nicht urteilt, nicht verurteilt… sondern einfach vergibt, erhebt, liebt und Hoffnung schenkt.

Und wenn die Änderung ihres Lebens von meiner Umarmung der Vergebung abhängt?

Wir alle machen Fehler und haben Fehler gemacht. Warum fällt es uns so schwer, eine Umarmung der Vergebung zu geben? Und wenn wir uns vornähmen, an diese Jugendlichen zu glauben und ihnen eine Chance zu geben, eine Chance, die ihr Leben verändern kann? Ich glaube, wenn einer von ihnen mein Sohn, mein Neffe, mein Enkel, mein heranwachsendes rebellisches Patenkind wäre, dann sähe ich sie anders an, behandelte sie anders, würde ihnen helfen, nicht aufzugeben, gegen die Laster zu kämpfen und immer an das Gute in ihnen glauben.

Könnten wir nicht innerlich den Schalter umlegen, diesen Chip auswechseln, der immer nur kritisiert, urteilt und verurteilt… und Träger dieses Hoffnungszeichen für viele sein, aus unser bequemen Blase heraustreten und uns ins Leben hineingeben und dieses „menschliche Du“ sein, dieses Band, das Gott braucht, um seine Barmherzigkeit zu schenken und viele an sein Herz zu ziehen?

Wenn ich an diese Jugendlichen denke, dann ergreift es mich, wie der Herr und die MTA unsere Mühen und unseren Dienst fruchtbar machen. Es sind die Wunder, die hier und im Himmel Freude machen

Wir müssen das lernen. Der Blick Jesu geht über die Sünden und die Vorurteile hinaus; er sieht die Person mit den Augen Gottes, der nicht beim vergangenen Übel stehen bleibt, sondern das künftige Gute sieht.  Jesus gibt angesichts der Verschlossenheiten nicht auf, sondern öffnet immer, er eröffnet immer neue Räume des Lebens; er hält nicht vor dem Schein ein,  sondern schaut auf das Herz. “ Papst Franziskus, Angelus, 30. 10. 2016.

 

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Vollständiger Text der Predigt von Papst Franziskus beim Jubiläum der Strafgefangenen

Original: Spanisch. Übersetzung: Maria Fischer, schoenstatt.org

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