Veröffentlicht am 2013-07-07 In Schönstatt im Herausgehen

Das Projekt ENCUENTRO – eigentlich gar kein Projekt, sondern eine Haltung

SPANIEN, Pilar de Beas. Das Projekt ENCUENTRO ist Weihnachten entstanden – aus der Beobachtung, dass “unsere Straßen“ von Madrid voller Menschen waren wie wir, Menschen, hilflose Kinder Gottes, die alles verloren haben, was sie hatten und jetzt auf der Straße leben, auf unseren Straßen; und für die der Alltag ein Kampf ums Überleben ohne Ziel, ohne Hoffnung, ohne Heimat ist.

Was bedeutet dieses Projekt?

Es heißt, meine Stadt, meine Straßen, meinen Stadtteil mit anderen Augen sehen zu lernen.

Es heißt, aktiv teilhaben an der Realität, die mich umgebt, nicht gleichgültig sein gegenüber dem, was mich umgibt, sondern durch konkrete Taten mich hineingeben – indem ich meine Zeit, meine Sachen, meine Hilfe zur Verfügung stelle.

Es heißt, Solidarität wecken, jene Solidarität, die eine Zeit der Krise von mir und von meiner Umgebung fordert.

Es heißt Einsatz für die Nächsten, Nächstenliebe ohne Etiketten und Vorurteile, selbstloser Dienst … Es ist nicht der Akt eines Tages, eine Verpflichtung von ein paar Stunden oder ein Gedanke, der kommt und geht, sondern eine Haltung, die meinen Alltag durchdringt, bis sie zum Encuentro, zur Begegnung wird, zu realem Leben.

Darum ist das Projekt Encuentro kein Voluntariat und keine Sozialaktion, sondern geht darüber hinaus. Es ist die Übung, sich die Probleme der Menschen in meiner Umgebung zu eigen zu machen und durch mein Zeugnis eine bessere Welt zu schaffen, ein Zeugnis, das andere ansteckt und alle beheimatet.

“Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben, ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben, ich war fremd…“

Mit anderen Füßen durch die Straßen gehen

Es heißt, mit anderen Füßen durch die Straßen gehen, mit anderen Augen sehen, mit anderen Armen umarmen. Es heißt zuhören ohne zu urteilen, reden ohne zu klagen, begleiten ohne aufzudrängen. Es heißt, sich bewusst sein, dass wir eine Antwort sein müssen für die Welt von heute, die verletzt und orientierungslos ist.

Und so traten sie in unser Leben ein: Froilán, Teresa, Amparo, José … und viele mehr, die sich einen Platz in unserem Herzen erobert haben.

Da wir von der Redaktion von schoenstatt.org um ein Zeugnis gebeten wurden, erzählen wir heute, auch wenn wir Hunderte anderer Geschichten erzählen könnten, weil jedes Leben eine ganze Welt ist, von Amparo, deren Fall uns tief bewegt.

Amparo

Eines Abends entdeckten wir auf unserem Weg und auf der Suche nach Obdachlosen in den Straßen von Madrid in der Nähe von Orense ein paar Matratzen, zu einer Art Hütte zusammengelegt. Wir gingen hin in der Absicht, mit den Menschen darin zu reden, aber ohne Erfolg. Ein paar Minuten später, nachdem wir festgestellt hatten, dass wir keine Antwort erhalten würden, beschlossen wir, weiterzugehen, und als wir um die Ecke bogen, sahen wir Amparo.

Sie mochte zwischen 35 und 45 Jahre alt sein, schwer zu schätzen; als wir anfingen, mit ihr zu reden, merkten wir, dass sie eine kultivierte, religiöse und voll und ganz am Leben verzweifelte Frau war.

Sie ging jeden Tag zu Kirche, wo sie “etwas” zu essen bekam. Sie war froh, witzig und sehr solidarisch mit den Armen um sie herum. Aber sie war am Tiefpunkt angekommen und hatte beschlossen, sich in dieser Nacht das Leben zu nehmen, um nicht mehr zu leiden – ausgehungert und erfroren wie sie war -, um ein besseres Leben zu finden, vielleicht, jedenfalls besser als das, was sie hier nie finden würde.

Sie hatte so viel zu erzählen – und wir so viel zu lernen

Wir haben sie gefragt und uns für ihr Leben interessiert; wir haben versucht, ihr “etwas” zu zeigen, wofür es sich weiterzumachen lohnte – sie war wegen ihrer frohen und positiven Haltung  so wichtig für so viele, die auf der Straße lebten. Sie hatte einen Sohn im Ausland, der keine Ahnung hatte, wo und wie seine Mutter lebte. Nachdem wir ihre Gedichte (sie ist wirklich eine große Dichterin) und ihre Lieder gehört hatten, war es, als habe sie eine neue Infusion von Leben erhalten …

Wir, die wir in ihrem Fall sicher viel schlechter dran gewesen wären, bekamen das große Geschenk des Herrn, als wir nach einer langen Zeit des Redens uns an die Hand nahmen und gemeinsam das Vaterunser beteten, vielleicht das schönste Vaterunser unseres Lebens, ganz sicher aber das, das uns mit erstaunlicher Kraft dem Herrn nahe brachte. In meinem Kopf geht seither das Wort unseres Papstes Franziskus um:

“Gott gibt die schwierigsten Schlachten seinen besten Soldaten.”

Warum, Herr, brauchen wir Menschen, die wir alles Notwendige zum Leben haben, immer noch mehr und laufen weg vor denen, denen das Allernotwendigste fehlt?

Was für ein Widersinn, mein Gott! Sie sind die besten Soldaten des Herrn.

Und ich frage mich dauernd: Warum rechtfertigen wir uns andauernd mit den Fehlern der Regierungen, wenn wir selbst uns nicht wirklich für die Ärmsten und Schwächsten einsetzen?

Wenn jeder von uns ein ganz klein wenig von dem, was er hat, dem Ärmsten gäbe, dann wäre das ein Ende des Elends! Dann gäbe es keinen Hunger mehr! Sind wir uns dessen bewusst?

Jeder könnte sich eines dieser “kleinsten Kinder Gottes” annehmen, und der Hunger und die Kälte wären zu Ende.

Sind wir uns dieser Not bewusst? Viele halten auch Hunger und Kälte aus, aber brauchten die Hand eines Freundes, um nicht unterzugehen, um Kraft zu schöpfen, um zu wissen, das „jemand“ hinter ihm oder ihr steht um zu helfen, wie es bei Amparo war, die uns am Schluss umarmte und uns nicht mehr loslassen wollte und uns dankte für diese Kraft, die wir ihr gegeben hätten, um weiterzukämpfen.

Wir können nicht zu Hause sitzen bleiben

Wir können nicht zu Hause sitzen bleiben. Es ist die Stunde gekommen, herauszugehen und dem Bruder und der Schwester in Not beizustehen.

Viele können nicht physisch mit uns auf die Straße gehen, aber sie können auf andere Weise helfen und tun es: durch Essen, Sachen, Kleidung und Decken…

Es gibt so viele Menschen in Not, aber es gibt auch so viele, die helfen können und genau dazu fordern uns die Worte des Papstes auf:

“Die Kirche braucht apostolischen Eifer und keine Wohnzimmerchristen.”

GEBET ZUM LIEBENLERNEN


Wenn ich hungrig bin, gebt mir jemanden, den ich speisen kann.
Wenn ich durstig bin, gebt mir jemanden, dem ich Wasser geben kann.
Wenn mir kalt ist, gebt mir jemanden, den ich wärmen kann.
Wenn ich bekümmert bin, gebt mir jemanden, den ich stärken kann.
Wenn mein Kreuz mir schwer scheint, lass mich das Kreuz eines anderen mittragen.
Wenn ich meine, arm zu sein, stelle mir einen Armen an die Seite.
Wenn ich keine Zeit habe, gib mir jemanden, der meine Minuten braucht.
Wenn ich will, dass die anderen mich verstehen, gib mir jemanden, der mein Verstehen braucht.
Wenn ich das Bedürfnis spüre, dass man sich um mich kümmern sollte, dann gib mir jemanden, um den ich mich kümmern kann.
Wenn ich an mich selber denke, richte meine Aufmerksamkeit auf jemand anders.

Mache uns würdig, Herr, unseren Brüdern und Schwestern zu dienen,
und gib ihnen durch unsere Hände
nicht nur das tägliche Brot sondern auch barmherzige Liebe nach deinem Bild.

Mutter Teresa von Kalkutta

Original: Spanisch. Übersetzung: Maria Fischer, schoenstatt.org

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert