Veröffentlicht am 2017-02-11 In Franziskus - Botschaft

Die große Bergpredigt Jesu in Zeiten der Anti-Bergpredigt

FRANZISKUS IN ROM, Redaktion schoenstatt.org  •

„Wir leben in einer Zeit der Anti-Bergpredigt“, sagt Pfr. Dr. Ulrich Hoppe, Seelsorger bei der Bundespolizei, in der Sonntagsmesse in einer Pfarrei im Raum Köln. Und die noch etwas verschlafenen Gottesdienstbesucher sind plötzlich ganz Ohr, während sie überrascht und erstaunt hören, wie er sehr offen den „Erlöser“ auf der anderen Seite des Atlantik anspricht mit seinem Glücksversprechen für alle, die Reichtum, Macht und Größe auf Kosten von Ausschluss anderer suchen. Er lädt ein, aufmerksam auf das zu hören, was Papst Franziskus sagt, und zitiert das große Interview mit der spanischen Tageszeitung El País, das wenige Tage zuvor erschienen ist:

„In Momenten der Krise funktioniert die Unterscheidung nicht, und das ist für mich eine andauernde Beobachtung. Wir suchen einen Erlöser, der uns die Identität zurückgibt und uns mit Mauern , mit Stacheldraht, egal womit, vor den Völkern verteidigt, die uns die Identität nehmen könnten. Und das ist schwerwiegend. Doch der Fall Deutschland im Jahr 1933 ist typisch, ein Volk in der Krise, das seine Identität suchte und dann erscheint dieser charismatische Führer, der ihnen verspricht, ihnen Identität zu geben, und er hat ihnen eine verquere und verdrehte Identität gegeben, und wir wissen, was dann passiert ist …“

An diesem selben Sonntagmorgen spricht Papst Franziskus auf dem Petersplatz von der Bergpredigt

 

„Arm vor Gott ist der Christ, der sich nicht auf sich selbst verlässt, auf seine materiellen Reichtümer, der sich nicht auf seine eigenen Meinungen versteift, sondern achtungsvoll zuhört und sich gern den Entscheidungen anderer unterstellt.

Gäbe es in unseren Gemeinschaften mehr Menschen, die arm vor Gott sind, dann gäbe es weniger Zwiespalt, Kontraste und Polemiken!

Das möchte ich unterstreichen: das Teilen dem Besitz vorziehen.

 

Vollständiger Text der Ansprache vor dem Angelus, 29. 01. 2017

Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!

Die Liturgie des heutigen Sonntags lässt uns die Seligpreisungen betrachten (vgl. Mt 5,1-12), die jene große Rede eröffnen, die »Bergpredigt« genannt wird, die »Magna Charta« des Neuen Testaments. Jesus offenbart den Willen Gottes, die Menschen zum Glück zu führen. Diese Botschaft war bereits in der Verkündigung der Propheten enthalten: Gott steht den Armen und Unterdrückten nahe und befreit sie von denen, die sie misshandeln. Doch in seiner Verkündigung verfolgt Jesus einen besonderen Weg: er beginnt mit dem Begriff »selig«, das heißt glücklich; daraufhin beschreibt er den Zustand  um selig zu sein; und er schließt mit einer Verheißung.

Der Grund der Seligkeit, das heißt des Glücks, liegt nicht im geforderten Zustand – zum Beispiel »arm vor Gott«, »die Trauernden«, »die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit«, »die verfolgt werden«… –, sondern in der darauffolgenden Verheißung, die mit Glauben als Geschenk Gottes anzunehmen ist. Es wird vom Zustand der Entbehrung ausgegangen, um sich dem Geschenk Gottes zu öffnen und Eingang zu finden in die neue Welt, in das »Reich«, das Jesus ankündigt. Dies ist kein Automatismus, sondern ein Weg des Lebens in der Nachfolge des Herrn, weshalb die Wirklichkeit der Entbehrung und des Leids in einer neuen Perspektive gesehen und entsprechend der Umkehr erfahren wird, die man vollzieht. Man ist nicht selig, wenn man sich nicht bekehrt hat, ist nicht in der Lage, die Geschenke Gottes wertzuschätzen und zu leben.

Ich möchte auf die erste Seligpreisung etwas näher eingehen: »Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich« (V. 4). Arm vor Gott ist der, der die Empfindungen und die Haltung jener Armen angenommen hat, die sich in ihrer Situation nicht auflehnen, sondern es verstehen, demütig, fügsam, bereit für die Gnade Gottes zu sein. Das Glück der Armen – derer, die arm vor Gott sind – besitzt eine zweifache Dimension: gegenüber den Gütern und gegenüber Gott. In Bezug auf die Güter, auf die materiellen Güter, ist diese Armut vor Gott nüchterne Mäßigung: nicht notwendig Verzicht, sondern die Fähigkeit, das Wesentliche zu verkosten, die Fähigkeit zum Teilen, die Fähigkeit, jeden Tag erneut über die Vortrefflichkeit der Dinge zu staunen, ohne in der Dumpfheit des begierigen Konsums schwer zu werden. Je mehr ich habe, desto mehr will ich; je mehr ich habe, desto mehr will ich: das ist das begierige Konsumieren. Und das tötet die Seele. Und der Mann oder die Frau, die dies tun, die diese Haltung des »je mehr ich habe, desto mehr will ich« einnehmen, sind nicht frei und werden nicht zum Glück gelangen. In Bezug auf Gott ist Armut vor Gott Lobpreis und dankbare Anerkennung, dass die Welt ein Segen ist und dass an ihrem Ursprung die Schöpferliebe des Vaters steht. Doch sie ist auch Offenheit für ihn, Fügsamkeit gegenüber seiner Herrschaft: er ist es, der Herr, er ist der Große, nicht ich bin groß, weil ich viele Dinge habe! Er ist es: er hat die Welt für alle Menschen gewollt und er hat sie gewollt, damit die Menschen glücklich sind. Arm vor Gott ist der Christ, der sich nicht auf sich selbst verlässt, auf seine materiellen Reichtümer, der sich nicht auf seine eigenen Meinungen versteift, sondern achtungsvoll zuhört und sich gern den Entscheidungen anderer unterstellt.

Gäbe es in unseren Gemeinschaften mehr Menschen, die arm vor Gott sind, dann gäbe es weniger Zwiespalt, Kontraste und Polemiken! Die Demut ist wie die Liebe eine Tugend, die für das Zusammenleben in den christlichen Gemeinschaften wesentlich ist. Die in diesem dem Evangelium entsprechenden Sinn Armen treten als jene auf, die das Ziel des Himmelreiches wach halten und so erkennen lassen, dass es im Keim in der brüderlichen Gemeinschaft vorweggenommen wird, die das Teilen dem Besitz vorzieht.

Das möchte ich unterstreichen: das Teilen dem Besitz vorziehen. Immer ein offenes Herz und offene [der Papst macht die Geste], nicht verschlossene [der Papst macht die Geste] Hände haben. Wenn das Herz verschlossen ist [der Papst macht die Geste], dann ist es ein verengtes Herz: es weiß nicht einmal zu lieben. Wenn das Herz offen ist [der Papst macht eine Geste], geht es auf dem Weg der Liebe. Die Jungfrau Maria, Bespiel und Erstlingsfrucht der Armen vor Gott, da sie ganz dem Willen des Herrn fügsam war, stehe uns bei, uns Gott zu überlassen, der reich an Barmherzigkeit ist, damit er uns mit seinen Gaben in Fülle beschenke, besonders mit der Fülle seiner Vergebung.

Original: Spanisch. Übersetzung: Angelus – vatican.va, Redaktioneller Teil: Maria Fischer/schoenstatt.org

 

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