Veröffentlicht am 2016-11-04 In Franziskus - Botschaft

Barmherzigkeit ist diese Hin- und Rückreise vom Elend zu meinen Händen

FRANZISKUS IM HEILIGEN JAHR DER BARMHERZIGKEIT •

Das Heilige Jahr der Barmherzigkeit neigt sich dem Ende und es wächst eine Intuition, dass das Thema „Barmherzigkeit“ gerade erst beginnt, oder anders gesagt, dass dieses Heilige Jahr eine Art Ouvertüre war, eine Einleitung in etwas, das manche schon ein Neugründen der Kirche aus den Kräften ihres Ursprungs nennen in einer Kultur der Barmherzigkeit, durch Papst Franziskus und mit ihm durch so viele Christen, die diese in der Linie der Propheten und Heiligen schon lange erwarten. Und mit einem heiligen Stolz orten wir auch Pater Kentenich – gerade 50 Jahre nach der Proklamation des Bündnisses mit Gott, dem barmherzigen Vater – in dieser Liebe der Propheten einer Neugründung in „Barmherzigkeit im Herausgehen“.

Vor einiger Zeit hat Papst Franziskus die Barmherzigkeit beschrieben als eine Reise vom Elend zu meinem Händen, eine Reise, die Augen, Herz und Hände als Stationen hat. Anders ausgedrückt, Barmherzigkeit als ein organischer Prozess, der das Potential hat, uns organischer leben zu lassen.

Es ist dieser Lebensvorgang, der einen das Elend einer Familie, die unter vier Stöcken und einer Plastikplane lebt, sehen lässt, der den alten Mann sehen lässt, der im Vorraum einer Bank zusammengebrochen ist und stirbt, die die Jugendlichen sehen lässt, die nie eine Familie erlebt haben und Motorräder stehlen, um auf den Straßen Paraguays nicht vor Hunger umzukommen, der die Flüchtlinge auf dem Mittelmeer in ihren Booten sehen lässt und das wiederverheiratete geschiedene Ehepaar mit seiner Sehnsucht danach, zur kirchlichen Gemeinschaft zu gehören… Doch der genau nicht da endet, der eben nicht in der bloßen Erkenntnis endet. Denn es muss geschehen, dass das Gesehene, das Erkannte, ins Herz kommt, der Schmerz gefühlt wird, dass das Leid, das fremde Elend, durch mein Herz geht… Und auch da hört es nicht auf, beim Gefühl, beim Mitleid, beim Weinen mit den Leidenden. Sondern es geht weiter zum Tun, zum Handeln, zum Engagement – zu den Händen, sagt Franziskus. Oder: Barmherzigkeit als ein Prozess, der Verstand, Gefühl und Handeln einschließt.  Den ganzen Menschen. Barmherzigkeit ist das Organischste, das uns passieren kann. Auch darum begegnen sich Franziskus und Kentenich so tief in der Barmherzigkeit.

Aus Anlass ihrer 14. Landeskonferenz in Santa Fe, Argentinien, erhielt  „Manos Abiertas“ (Offene Hände), einer von einem Jesuiten gegründeten christlichen Gruppierung von Ehrenamtlichen, eine Videobotschaft von Papst Franziskus, in der er, ausgehend vom Namen der Organisation, den organischen Lebensvorgang „Barmherzigkeit“ beschreibt. Wir veröffentlichen den Text in einer eigenen Übersetzung.

Botschaft des Papstes zum zur 14. Landeskonferenz von „Manos Abiertas“

Liebe Freunde von „Manos Abiertas“:

Sie sind versammelt bei diesem Landestreffen mit dem Thema: „Barmherzigkeit, eine Reise vom Herzen zu den Händen“. Nehmen wir zwei Texte des Evangeliums: Als der Barmherzige Samariter diesen Menschen auf dem Weg entdeckte, so sagt das Evangelium, fühlte er Mitleid in seinem Herzen, und stieg dann von seinem Pferd, berührte und verband ihn; das Mitleid des Herzens bewegte ihn zu einem konkreten Tun mit seinen Händen. Eine andere Szene des Evangeliums spricht von Jesus am Stadttor von Naim, wo er diesen Trauerzug des jungen Sohnes einer verwitweten Mutter herauskommen sieht, mit der Mutter dahinter; und er fühlte Mitleid mit dieser alleinerziehenden Mutter, näherte sich und sagte ihr: „Weine nicht“; und dann begannen seine Hände zu handeln, er berührte den Sarg und sagte: „Junge, steht auf.“ Eine Reise vom Herzen zu den Händen. So ist Jesus, so lehrt uns das Evangelium: Handeln, aber aus dem Herzen.

Das Herz, sei es das des Barmherzigen Samariters wie das von Jesus, wurde durch das Elend berührt: das Elend, das es dort sah, das Elend dieser Witwe, die Jesus sah, dieses Elend des Schmerzes und das Elend dieses verprügelten Mannes, den der Samariter sah. Das Herz verbindet sich mit dem Elend des anderen, und das ist Barmherzigkeit. Wenn das Elend der anderen in mein Herz hineinkommt, spüre ich Barmherzigkeit, was nicht das gleiche ist wie Mitleid, Mitleid ist ein anderes Gefühl. Ich kann Mitleid haben gegenüber einem verletzten Tier oder einer Situation, doch Barmherzigkeit ist ein anderes Gefühl, das ist, wenn das Elend des anderen oder eine Situation von Leid oder Elend in mein Herz hineinkommt und ich zulasse, dass diese Situation mein Herz berührt. Ich würde sagen: Das ist die Hinreise, die Reise vom Elend zum Herzen. Und das ist der Weg: es gibt keine Barmherzigkeit, wenn nicht das Herz zerreißt, ein vom Elend des anderen verletztes Herz, von einer schmerzhaften Situation des anderen, einem Herzen, das sich verletzen lässt.

Es ist etwas anderes, gute Gefühle zu haben, aber das ist nicht Barmherzigkeit, sondern es sind gute Gefühle. Es ist etwas anderes, mit den Händen Philanthropie zu üben, aber das ist keine Barmherzigkeit, es ist nicht schlecht, ein Philanthrop zu sein, aber das ist nicht Barmherzigkeit, das ist etwas anderes. Barmherzigkeit ist diese Reise vom Elend zu meinem Herzen, von meinem Herzen aufgenommen, das Elend, das mein Herz bewegt und manchmal sogar so sehr bewegt, dass mein Herz wie ein Kompass am Nordpol ist, nicht weiß, wo es steht wegen dem, was es empfindet.

Sicher, einige von euch könnten mich fragen: Padre, wie kann man Barmherzigkeit haben statt Mitleid? Gut, zuerst muss man um die Gnade der Barmherzigkeit bitten, es ist eine Gnade, und Gnaden muss man vom Herrn erbitten. Doch der einzige Weg, um Barmherzigkeit zu haben, ist durch die eigene Schuld, von einem selbst anerkannt und vom Herrn vergeben, einfach nur durch die anerkannte und vergebene Schuld. Man kann nur barmherzig sein, wenn man sich wirklich vom Herrn „barmherzigt“ fühlt, wenn nicht, dann kannst du nicht barmherzig sein. Wenn du das Gefühl hast, dass deine Sünde von Gott angenommen ist, vergeben, vergessen, dann bist du „barmherzigt“, und aus dem Barmherzigtsein kannst du barmherzig sein. Wenn die Barmherzigkeit nicht von deinem Herzen ausgeht, ist es keine.

Und hier beginnt die Rückreise. Wenn die Hinreise darin bestand, mein Herz vom Elend der anderen verletzen zu lassen, dann schafft diese Reise in meinem Herzen das Anerkennen meiner Schuld, meines Elends, meiner Kleinheit und das Erleben, vom Herrn Verzeihung und Erbarmen erhalten zu haben, und dann beginnt die Rückreise vom Herzen zu den Händen. Und so geht der Weg von meinem barmherzigten Elend zum Elend des anderen; von meinem von geliebten Elend zur Liebe des anderen in seinem Elend; von dem geliebten Elend in meinem Herzen in den Ausdruck mit meinen Händen – und das ist Barmherzigkeit. Barmherzigkeit ist eine Reise vom Herzen zu den Händen. Was mache ich, öffne ich die Hände oder mein Herz? Beides! Lass dein Herz vom Elend verwunden, von dem der anderen und dem deinen; lass dich barmherzigen und beginne diese Reise zurück,  und barmherzige mit deinen Händen die anderen, indem du Barmherzigkeit und Liebe verschwendest.

Möge Gott euch segnen und euch ein fruchtbares Treffen schenken, fruchtbar für die ganze Gemeinschaft der „Offenen Hände.“ Und bitte vergesst nicht, für mich zu beten.

Original: Deutsch. Übersetzung: Maria Fischer, schoenstatt.org

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